Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Beschützerinstinkt, eine übertriebene Vorsicht auf den Freiheitswillen der Jüngeren trifft. Auch wenn gewisse Diskussionen mit einem Machtwort beendet und oft auch totgeschwiegen werden, flammen die Kämpfe immer wieder auf und die Kinder argumentieren gegen ihre Eltern: »Wir wissen ja, was wir dürfen und was wir nicht dürfen, und trotzdem verbietet ihr uns das.«
Was in Deutschland schon fast zu viel ist, fehlt in der arabischen Welt vollständig: Eine öffentliche Diskussion über Kindererziehung findet nicht statt. Während es in Deutschland Dutzende von Erziehungsratgebern gibt und in den großen Zeitschriften regelmäßig die neuesten Trends in diesem Bereich vorgestellt werden (was ich im Übrigen auch nicht unbedingt für gelungen halte), gibt es in der arabischen Welt keine einzige Publikation dazu, zumindest keine, die in meinem Bekanntenkreis diskutiert werden würde.
Diskutiert wird ausschließlich im privaten Freundeskreis, wenn die Frauen unter sich sind. Dann werden die unterschiedlichen familiären Situationen besprochen, die Frauen tauschen sich aus und geben sich gegenseitig Ratschläge, wobei es schon zu sehr unterschiedlichen Positionen kommen kann.
Ein weiteres großes Thema, wenn es um die Stellung der Frau in der islamischen Gesellschaft geht, ist immer wieder Ehrenmord. Hier muss man ganz deutlich sagen, dass das nichts, aber auch gar nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern ausschließlich in der Kultur einzelner Volksgruppen verankert ist, die aus bestimmten Regionen kommen. Dabei geht es hauptsächlich um einen sehr extrem ausgelebten Ehrbegriff und darum, dass diese Menschen ausschließlich darauf achten, was andere aus ihrer Gemeinschaft über sie denken könnten. Für diese Bevölkerungsgruppen sind die Worte »Du Ehrloser« die schlimmste Beleidigung, die es gibt.
Islamisch begründen kann man einen Ehrenmord nicht. Der Koran verbietet ihn. Punkt. Ehrenmorde werden aufgrund von archaischen Traditionen, aufgrund von Nationalismus, aufgrund von ethnischen Ideen begangen und sind in keiner Weise mit der Lehre des Islam vereinbar. Wer diese Praxis mit dem Islam vermengt, sei es von Täterseite aus als Begründung, sei es von Medienseite aus als Anschuldigung, der lügt.
Nichtsdestotrotz gibt es diese Praxis und sie ist ein Problem.
Das Einzige, was meiner Meinung nach dagegen hilft, ist fortwährende Aufklärung, sei es von liberaler, aufgeschlossener, europäischer Seite oder von einer gebildeten, islamisch religiösen Seite. Hier sollten die deutschen Stellen vielleicht den Kontakt zu den unterschiedlichen religiösen Einrichtungen suchen, um eine flächendeckende Aufklärung durchzuführen, da eine religiöse Argumentation die Menschen vielleicht eher erreicht. Strafrechtlich verboten ist es ohnehin. Da es sich bei diesem Thema um eine sehr emotionale Angelegenheit handelt, ist es vielleicht nicht verkehrt, ihm auch auf einer emotionalen Ebene zu begegnen.
Ein anderes emotionales, wenn auch weniger dramatisches Thema, das die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt, ist das Kopftuch. Generell gilt das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung der Frau und als ein Zeichen der religiösen Bevormundung. Nun ist es allerdings so, dass viele Frauen das Kopftuch freiwillig tragen. Hassans Schwester hat zum Beispiel erst mit dreißig Jahren angefangen, ein Kopftuch zu tragen.
In ihrem Fall war das eine ganz persönliche, religiöse Entscheidung und sie wurde weder von ihren eigenen Eltern dazu gezwungen, ein Kopftuch zu tragen, noch verlangt sie von ihren Töchtern, eines zu tragen. Von der Religion her ist es in diesem Fall so, das die Frauen eigentlich ein Kopftuch tragen müssten, da der Prophet in einer Sure geschrieben hat, dass die Frauen ihren Schmuck, wozu auch die Haare zählen, bedecken sollen.
Für die deutsche Gesellschaft ist das Kopftuch das ultimative Zeichen der Abgrenzung und genau in dem Moment, in dem eine Frau ihr Kopftuch anlegt oder sich verschleiert, wird sie unsichtbar.
Trotz allem, und das ist wichtig zu verstehen, empfinden sich diese Frauen durchaus als Teil der deutschen Gesellschaft. Sie leben hier, sie arbeiten hier, sie haben mit den Lehrerinnen und Lehrern ihrer Kinder zu tun, sie wollen sich einleben und erkennen auch ganz genau, wo sie gefordert sind. Sie fühlen sich hier zu Hause, das ist ihr Land. Warum auch nicht, schließlich leben und arbeiten sie hier, einige sind sogar hier geboren. Selbst wenn diese Frauen neun Kinder haben und in der
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