Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
die Zeugin gut gesehen habe. Trotz der |190| dunklen Haare, denn die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs sei eingeschaltet gewesen. Er habe sich dann von dem anderen Zeugen verabschiedet. Er sei in Fahrtrichtung und sein Bekannter entgegengesetzt davongegangen.
Auch ihn konfrontierte ich mit der Version des Angeklagten und der des anderen Zeugen. Sofort mischte der Verteidiger sich wieder ein und wurde abermals von der Richterin ermahnt. Der Zeuge gab dann an, sich nicht mehr genau erinnern zu können. Ich erklärte ihm, dass sich das gerade aber anders angehört hatte. Schließlich erklärte er, dass es eigentlich doch so gewesen sei, wie er bekundet hatte. Weitere Nachfragen brachten nichts Neues zu Tage. Schließlich wurde der Zeuge entlassen.
Da die Beweisaufnahme doch einige Zeit in Anspruch genommen hatte, wurde für die Abschlussplädoyers und die Urteilsverkündung nach Beratung ein weiterer Sitzungstag vereinbart.
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Die Hauptverhandlung gegen Sinan beginnt
I ch hoffe, Sie haben mitbekommen, dass mein Mandant hinsichtlich des Raubüberfalls in Chemnitz freigesprochen wurde.« Der Verteidiger hielt triumphierend eine Kopie des Urteils in die Höhe, durch das sein Mandant bei einem gleich gelagerten Vorwurf vom Landgericht Chemnitz freigesprochen worden war.
Da saß ich nun bei meinem größten Fall, den ich während meiner Zeit als Staatsanwalt in der Sitzung vertreten musste. Zumindest, wenn man dafür die Höhe der zu erwartenden Strafe im Falle einer Verurteilung heranzog.
Grundsätzlich wird ein Raub nach § 249 Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren bestraft. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a Strafgesetzbuch beträgt die Mindeststrafe aber bereits drei Jahre, wenn einer der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug mit sich führte. Die bei der Tat verwendete Pistolenattrappe war zwar keine Waffe, aber ein gefährliches Werkzeug. Mit ihr konnten als Schlag- oder Hiebwaffe erhebliche Körperverletzungen herbeigeführt werden. Werner L., eines der Opfer, hatte dies zu spüren bekommen. Mit der schweren Pistolenattrappe waren ihm eine Platzwunde zugefügt und zwei Zähne ausgeschlagen worden. Angeklagt war deshalb ein schwerer Raub nach § 250 Abs. 2 Nr. 1, wonach die Mindeststrafe sogar fünf Jahre beträgt, wenn ein mitgeführtes |192| gefährliches Werkzeug auch eingesetzt wird. Erschwerend kam hinzu, dass der Angeklagte kurz vor der Tat wegen eines schweren Raubes eine Strafhaft verbüßt hatte, deren letztes Drittel zur Bewährung ausgesetzt worden war. Eine Große Strafkammer des Landgerichts Leipzig hatte ihn wegen eines Banküberfalls zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Angeklagte war direkt aus der Strafanstalt nach Algerien abgeschoben worden. Die Bewährungszeit für den Rest der Strafe sollte für Sinan also in Algerien ablaufen. Er war jedoch umgehend wieder in Deutschland aufgetaucht und hatte die Tat bereits wenige Monate nach seiner Entlassung, also während der noch laufenden Bewährungszeit, begangen. Dies zeigte die Unbelehrbarkeit des Angeklagten und würde im Falle einer Verurteilung strafschärfend zu berücksichtigen sein.
Es sollte nicht nur mein größter Fall, sondern auch einer meiner letzten als Staatsanwalt werden. Die Hauptverhandlung zog sich über mehrere Sitzungstage und meine Zeit als Proberichter bei der Staatsanwaltschaft Berlin näherte sich dem Ende. Wunschgemäß wurde mir eine Richterstelle bei einem Zivilgericht in Aussicht gestellt. Kurz nach Abschluss dieses Falles würde ich wahrscheinlich wechseln.
Ich hatte mir die Akte dieses schweren Raubüberfalls genauso sorgfältig durchgelesen wie das Freispruchurteil aus Chemnitz. Es blieb zu hoffen, dass es diesmal für eine Verurteilung reichen würde. Nach Aktenlage war Sinan H. genauso schuldig wie der Angeklagte in dem Vergewaltigungsprozess, der letzte Woche zu Ende gegangen war. Aber das hatte nichts zu heißen. Immer wenn ich an diesen Prozess zurückdachte, bekam ich Bauchschmerzen.
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Das Urteil im Vergewaltigungsprozess
A ls Staatsanwalt hatte ich als Erster mein Abschlussplädoyer zu halten. Ich ging dabei genau auf die Zeugin Nina R. ein. Ich erklärte, dass nichts vorliege, was die Annahme einer derartigen Falschaussage durch die Zeugin rechtfertigen würde. Immerhin handelte es sich nicht um eine geplante Aussage, Wochen nach der Tat. Zwischen Tat und erster Vernehmung lagen nur wenige Stunden.
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