Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Weder in der Person noch im Umfeld der Zeugin waren verdächtige Umstände wie ein schwieriges familiäres Umfeld, psychische Probleme oder Ähnliches ersichtlich, die auf eine Falschaussage hindeuten könnten. Die Zeugin war dem körperlich weit überlegenen Angeklagten in der fremden Wohnung hilflos ausgeliefert, was ihren geringen physischen Widerstand erklärte. Auch die spätere Fahrt mit dem Angeklagten zur Diskothek sei nichts Ungewöhnliches. In dem Verhältnis zwischen Täter und Opfer gebe es nicht nur schwarz und weiß. Es sei keineswegs so, dass Opfer nach der Tat immer schreiend wegrennen würden. Wer könne sich anmaßen, das Verhalten der Zeugin als auffallend im Sinne einer Falschverdächtigung zu bezeichnen. Einer Zeugin, die ihren ersten Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung erfuhr und für immer damit leben musste. Einer Zeugin, die völlig verwirrt und blutend über Stunden auf einem Barhocker in einer Diskothek saß.
|194| Hinsichtlich des Angeklagten ging ich im Einzelnen auf die Sexgeschichte im Auto ein. Sowie nach Einzelheiten gefragt wurde, seien die Angaben des Angeklagten und der Zeugen derart auseinandergegangen, dass die Lüge greifbar gewesen sei. Auch inhaltlich habe diese Geschichte einfach zu gut ins Konzept der Verteidigung gepasst, um wahr zu sein. Es handle sich um den missglückten Versuch des Angeklagten, die siebzehnjährige Zeugin Nina R. als sexuell besonders aktiv und freizügig darzustellen. Da die Zeugin nachweisbar noch Jungfrau war, konnte es sich natürlich nur um Oral- oder Analverkehr handeln. Selbstverständlich fand dieser in der Öffentlichkeit statt, sodass es Zeugen geben konnte. Und selbstverständlich fiel Nina R. über den Angeklagten bereits in dem Moment her, als die Zeugen die Autotüren hinter sich zugeworfen hatten. Die Sache stank zum Himmel.
Ich erklärte dem Gericht, entscheidend sei gar nicht einmal, dass der Angeklagte diese Story nicht glaubhaft schildern konnte. Wichtig war vielmehr, dass man daraus klare Rückschlüsse auf die sonstige Einlassung des Angeklagten zur Tatnacht ziehen konnte. Der Angeklagte sei kein Mann, der im Prozess die Wahrheit und nichts als die Wahrheit angegeben habe. Er habe ohne mit der Wimper zu zucken dem Gericht schamlos ins Gesicht gelogen. Das Gericht dürfe sich nicht täuschen lassen. Der Angeklagte sei ohne Frage sehr intelligent. Aber Vergewaltigung sei kein Ausdruck von Dummheit und mache nicht bei einem bestimmten Intelligenzquotienten halt. Er sei schuldig im Sinne der Anklage, zwar nicht vorbestraft, aber ohne jegliche Reue. Bei einer Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe seien auch die erheblichen Folgen für das Opfer zu berücksichtigen. Ich beantragte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
|195| Der Nebenklägervertreter, Rechtsanwalt und Interessenvertreter der Zeugin Nina R., argumentierte in ähnlicher Weise und beantragte ebenfalls drei Jahre Freiheitsstrafe.
Als Nächstes war das Abschlussplädoyer der Verteidigung dran. Der Verteidiger erklärte, dass man hier zum Glück nicht in Kuba sei. Es gelte das Rechtsstaatsprinzip. Auch wenn nur die geringsten Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten verblieben, müsse – im Zweifel für den Angeklagten – ein Freispruch erfolgen. Im vorliegenden Fall bestünden mehr als nur Zweifel. Es stehe Aussage gegen Aussage. Die Zeugin Nina R. habe keinerlei Gegenwehr gezeigt und sei hinterher mit dem Angeklagten zu einer Diskothek gefahren. Die Verteidigung und der Angeklagte hätten keine Ahnung, warum die Zeugin diese schlimme Falschverdächtigung ausgesprochen habe und daran festhalte. Vielleicht sei es ihr in der Diskothek peinlich gewesen, dass sie blutete. Wirkte so was nicht irgendwie schlampig? Vielleicht wollte sie vor ihren Freunden nicht so dastehen. Dazu noch der Frust, dass der Angeklagte auch nach dem Geschlechtsverkehr keine tiefere Beziehung zu ihr gewollt habe. Der Verteidiger hob nochmals die großen Farbfotografien aus der Diskothek hoch. Er meinte, man müsse sich nur die Bilder ansehen, wie sich die Zeugin schon zwei Wochen nach der vermeintlichen Tat wieder leicht bekleidet mit ihren Freunden in der Diskothek vergnügt habe. Auch hätten die beiden Zeugen, wie der Angeklagte, letztlich den Oralverkehr der Zeugin bestätigt. Man könne es drehen und wenden wie man wolle, die Zeugin Nina R. habe es ganz dick hinter den Ohren. Ja, der Staatsanwalt sei voreingenommen. Er habe den Angeklagten und die Zeugen zu den sexuellen Eskapaden
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