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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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Minibar mit einem Magenbitter oder so?
    Das Gericht wandte sich nun der Bewertung der Zeugenaussage von Nina R. zu. Es bestünden Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Darstellung. Zunächst sei merkwürdig, dass die Zeugin die eigentliche Tat nicht habe schildern wollen, sondern nur mit kurzen Worten angab, dass der Angeklagte »es dann gemacht« habe. Erst auf Nachfrage habe sie sich näher erklärt. So wie sie die Tat beschrieben habe, wäre es nach Ansicht des Gerichts ein Leichtes gewesen, sich gegen die Vergewaltigung zu wehren. Insbesondere sei unklar geblieben, wie der Angeklagte die Zeugin gleichzeitig festgehalten und ihr die Strumpfhose heruntergezogen haben soll. Dies hätte die Zeugin doch einfach verhindern können. Insgesamt lasse das geringe |199| Verteidigungsverhalten der Zeugin Zweifel an einer Vergewaltigung aufkommen.
    Auch diese Argumentation des Gerichts fand ich nicht stichhaltig. War es nicht nachvollziehbar, dass Nina R. nur ungern vor so vielen fremden Menschen in allen Einzelheiten von der Vergewaltigung berichten wollte? Nachdem man ihr erklärt hatte, warum sie nochmals ausführlich aussagen musste, hatte sie dem doch Folge geleistet! Auch im Übrigen fand ich die Schilderung der Zeugin zu der Vergewaltigung nachvollziehbar. Nina R. war mit dem Angeklagten allein in einer Wohnung und er war ihr körperlich weit überlegen. Welchen Widerstand hätte die Zeugin aus Sicht des Gerichts denn leisten sollen? Der Angeklagte hatte sie doch in der Gewalt. Außerdem hatte die Zeugin angegeben, dass sie die ganze Zeit auf den Angeklagten eingeredet habe, er solle aufhören. Ich konnte mich auch nicht erinnern, dass das Gericht bei der Zeugin nachgefragt hätte, weil der Ablauf der Vergewaltigung schleierhaft geblieben sei.
    Das Gericht meinte weiterhin, dass ein tatsächliches Vergewaltigungsopfer sofort nach der Tat zur Polizei gehe und sich nicht erst von dem Täter in eine Diskothek fahren lasse.
    In der Tat wirkte dies auf den ersten Blick merkwürdig. In meinem Plädoyer hatte ich jedoch auf den erkennbaren Schockzustand der Zeugin hingewiesen.
    Für die Story mit dem Auto hatte das Gericht in der Begründung kein Wort übrig.
     
    Schließlich war die Urteilsbegründung zu Ende. Ich verließ den Gerichtssaal und stapfte niedergeschlagen in mein Zimmer. In diesem Fall blieb nichts weiter zu tun, als in der |200| Handakte der Staatsanwaltschaft kurz den Sitzungsverlauf zu dokumentieren und zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Staatsanwaltschaft in die Berufung gehen solle oder nicht. Ich regte die Einlegung eines Rechtsmittels an. Zu entscheiden hatte darüber der zuständige Staatsanwalt aus dem Dezernat für Sexualdelikte.
    Was mich bedrückte, war nicht so sehr der Freispruch an sich. Die Notwendigkeit einer gewissen Distanz und vor allem Sachlichkeit bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verhandlungen war natürlich auch mir bewusst. Einen Freispruch als solchen darf man nicht als persönliche Niederlage verstehen. Auch die Tatsache, dass ein (aus der Sicht des Gerichts) nur wahrscheinlich Schuldiger unbehelligt seiner Wege gehen kann, war für mich ohne Weiteres zu verkraften. Schon zu Beginn des Jurastudiums war uns in verfassungsrechtlichen Vorlesungen die große Bedeutung eines rechtsstaatlichen Verfahrens (zu dem auch die Unschuldsvermutung gehört) klar geworden, und auch der Preis, den man dafür bezahlen muss. Und wir hatten ihn akzeptiert. Die Gefahr mehrerer frei herumlaufender, aus Zweifelsgründen freigesprochener vermeintlicher Täter wiegt weniger schwer, als die Gefahr der Verurteilung nur eines Unschuldigen. Was mich belastete, war die Frage, ob ich wirklich alles in meiner Macht Stehende getan hatte, um einen aus meiner Sicht schuldigen Angeklagten der Verurteilung zuzuführen. Hätte ein Staatsanwalt mit mehr Berufserfahrung, vielleicht sogar dem Wissen aus bereits geführten Vergewaltigungsprozessen, eine Verurteilung erreicht? Hätte er an der einen oder anderen Stelle besser antizipiert, wo das Gericht Zweifel haben würde, und diese durch geschickte Fragen oder auf andere Art und Weise beseitigen können? Hätte ich selbst |201| vermeintliche Schwachstellen der Zeugenaussage von Nina R. genauer erkennen und für ein »besseres Licht« in diesen Punkten sorgen müssen? Auch heute noch, einige Jahre später, denke ich manchmal über diese Fragen nach. Antworten darauf sind kaum zu bekommen. Ein Prozessverlauf ist zu komplex, um ihn einem anderen Staatsanwalt so zu

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