Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
merkte, dass ich bald in den Gerichtssaal musste. Über das Wochenende |217| hatte ich mein Plädoyer vorbereitet. Schuldig in allen Anklagepunkten, eine schlimme Tat bei einschlägiger Vorstrafe des Täters und schweren Folgen für die Opfer. Ich würde eine sehr hohe Strafe beantragen.
Doch ich kam vorerst nicht dazu. Kurz nachdem die Verhandlung begonnen hatte, kündigte die Verteidigung eine Einlassung an. Nicht der Angeklagte äußerte sich, sondern der Verteidiger verlas eine von Sinan H. unterzeichnete Erklärung. Danach gab er die Beteiligung an der Tat zu. Der Angeklagte sei einer der beiden Täter gewesen, welche die Zeugin Erika L. festgehalten hatten (und auch geschlagen, dachte ich). Der Angeklagte habe nicht gewusst, dass ein anderer Beteiligter eine Pistolenattrappe dabeihatte. Er habe auch nicht mitbekommen, dass diese Attrappe hervorgeholt und damit auf den Zeugen Werner L. eingeschlagen wurde. Der Angeklagte sei völlig damit beschäftigt gewesen, die Zeugin Erika L. in Schach zu halten. Der Plan sei es gewesen, die Zeugen zu überrumpeln und mit Klebeband zu fesseln. Die Folgen dieser Tat bedauere er zutiefst.
Einen Moment lang herrschte atemloses Schweigen im Gerichtssaal. Dann fragte die »lächelnde Guillotine« (der Vorsitzende Richter) freundlich, ob dies alles sei. Der Verteidiger bestätigte dies. Es sei die vollständige Erklärung, mehr würde nicht kommen.
Die Mitglieder des Gerichts schauten sich an, ob noch jemand Fragen habe. Dann wurde mir das Fragerecht erteilt. Ich wollte natürlich die Namen der Mittäter wissen. Sie sollten gleichfalls ihrer Strafe zugeführt werden. Erika L. sollte die Chance haben, auch in ihre Gesichter zu schauen. Aber die Nennung weiterer Namen lehnte die Verteidigung |218| rundweg ab. Ich wies den Angeklagten darauf hin, dass die Reichweite der strafmildernden Wirkung des Geständnisses auch davon abhänge, ob der Angeklagte sich umfänglich äußere und zur vollständigen Aufklärung der Straftat beitrage. Die Verteidigung lehnte nochmals ab.
Wie konnte ich nun an die Namen der Mittäter kommen? Ich gab nochmals zu bedenken, dass ich eine hohe Strafe fordern würde und mein Antrag vielleicht niedriger ausfiele, wenn ich Namen erführe. Jetzt schaltete sich der Vorsitzende Richter ein und meinte, dass das Gericht bei der Strafhöhe auch noch ein Wort mitzureden habe. Egal. Angeklagter und Verteidiger wollten keine weiteren Angaben machen. Mir war das letztlich auch verständlich. Schließlich würde der Angeklagte von der Nennung der Mittäter nicht nur profitieren. Nach den betreffenden Personen würde zunächst gefahndet und bei Ergreifung ein DN A-Test durchgeführt werden. Sodann musste abgewartet werden, ob sich die Angaben des Angeklagten anhand der am Tatort gefundenen DN A-Spuren bestätigten. Allein die Aussage des Sinan H. würde wohl nicht für eine Verurteilung ausreichen. Jedenfalls war nicht auszuschließen, dass die Mittäter ihrerseits Sinan H. wegen anderer Raubtaten belasten würden. In den folgenden Ermittlungsverfahren würde man dann auch noch mal genauer nach einer DN A-Spur von Sinan H. suchen.
Besonders gut zu sprechen würden sie auf den »Verräter« bestimmt nicht sein. So konnte sich eine Preisgabe der Namen zu einem echten Bumerang für den Angeklagten entwickeln. Wie auch immer, da es nichts weiter zu verhandeln gab, verlas der Vorsitzende den Bundeszentralregisterauszug |219| des Angeklagten. Er ging dabei genau auf die Vorstrafe wegen schweren Raubes ein und zitierte die damaligen Urteilsgründe. Es handelte sich um einen Banküberfall, bei dem die Täter, genau wie im jetzigen Fall, mit selbst gemachten Masken agierten. Der Angeklagte war geständig gewesen, was nicht weiter verwunderlich war, da er auf frischer Tat erwischt worden war. Auch damals hatte eine Bankangestellte wegen psychischer Probleme, die aus dem Überfall resultierten, ihre Arbeit aufgeben müssen. Sie war teilweise erwerbsunfähig geworden. Diesen Umstand hatte das Gericht dem Angeklagten in der Urteilsbegründung strafschärfend vorgehalten. Allein ohne jeglichen Erfolg. Der Angeklagte war zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach einem Jahr und elf Monaten Gefängnisaufenthalt wurde der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und der Angeklagte nach Algerien abgeschoben. Die jetzt verhandelte Tat ereignete sich bereits gut drei Monate nach der Abschiebung. Der Angeklagte hatte genau da weitergemacht, wo er
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