Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Völlig unprofessionell. Was war denn jetzt los? Zu Hause hatte ich das Plädoyer zur Probe gehalten. Da hatte es keinerlei Probleme gegeben. War ich noch nicht abgebrüht genug, fehlte da noch Berufserfahrung oder war ich einfach zu viel Weichei für diesen Job? Ließ ich den Fall zu dicht an mich heran? So oder so, ich musste weitermachen. Mit leiserer Stimme und gesenktem Kopf hangelte ich mich durch. Es wurde dann auch wieder besser, aber erst, als ich im Rahmen meines Plädoyers nicht mehr weiter auf Erika L. eingehen musste. Vorher hatte ich das Gericht aber nochmals daran zu erinnern, dass Erika L. bis heute unter den Folgen der Tat litt. Dass sie ihren Laden hatte schließen müssen. Der Laden, für den sie und Werner L. so hart gearbeitet hatten. Und dass sie jetzt in einer Imbissbude als Angestellte Pommes und Würstchen zubereitete, aber sich vor jedem Kundenkontakt fürchtete. Schlimme Narben einer Tat, die niemand sieht und die wohl niemals verheilen würden.
Außerdem müsse man bei den strafschärfenden Gründen auch die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigen. Er sei einfach skrupellos und selbst die Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe habe ihn bisher nicht stoppen können. Das zeige schon der zeitliche Zusammenhang der Tat mit der vorherigen Verurteilung. Kurz nach der Entlassung habe er wieder zugeschlagen. Er kenne auch die schweren psychischen Auswirkungen auf die Opfer seiner Gewalttaten. Aus der schriftlichen Begründung seiner eigenen Verurteilung! Aber das spiele für ihn ja keine Rolle. Andere sollten |223| bluten für die finanziellen Wünsche und Erwartungen des Angeklagten.
Wie sollte er nun bestraft werden? Ich beantragte eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und die Fortdauer der Untersuchungshaft. Ich setzte mich erleichtert, nachdem ich mein Plädoyer beendet hatte. Es war wohl Mitleid mit der Zeugin Erika L., die so tapfer die Folgen dieser Gewalttaten ertrug und die Wut über den Angeklagten, der solche Schicksale wahrscheinlich regelmäßig in Kauf nahm, was mir die Tränen in die Augen getrieben hatte. Die Art, wie Erika L. ihren Schmerz ohne Tränen ertrug, ließ andere weich werden. In diesem Moment bekam ich mit, dass nun wirklich jemand weinte. Es war der Angeklagte selbst, der hemmungslos in Tränen ausbrach. Das wurde nun auch dem Vorsitzenden zu viel: »Benehmen Sie sich doch mal wie ein Mann. Was soll das denn jetzt? Als Sie auf die Zeugin Erika L. einschlugen, haben Sie doch auch nicht geweint!«
Es folgte das Plädoyer des Verteidigers. Er meinte, dass das Plädoyer des Staatsanwalts sicher nicht »unsympathisch« wirke. Die beantragte Strafe sei aber absurd hoch. Zum einen greife nur eine Mindeststrafe von einem Jahr. Sein Mandant habe die Tat eingeräumt. Niemand könne ihm nachweisen, dass er von der Pistolenattrappe gewusst, geschweige denn ihren Einsatz gebilligt habe. Ja, der Angeklagte sei einschlägig vorbestraft. Aber das Geständnis müsse stark strafmildernd berücksichtigt werden. Eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sei durchaus angemessen. Der Angeklagte hatte sodann das letzte Wort und bat unter Tränen darum, ihm keine hohe Strafe zu geben. Es sei die einzige Tat, die er nach der Verurteilung begangen habe und er werde nie wieder straffällig werden. Das Gericht zog sich zur Beratung |224| zurück. In etwa dreißig Minuten sollte das Urteil verkündet werden.
Der Angeklagte verschwand mit zwei Gerichtswachtmeistern in der Seitenwand des Sitzungssaales. Verschluckt von den Innereien dieses riesigen Baukörpers. Die Wachtmeister hatten die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, als sie hörten, dass zehn Jahre Gefängnis beantragt worden waren und nachdem am Vormittag einem anderen Angeklagten zwei Säle weiter die Flucht gelungen war. Er war durch das geschlossene Fenster des Sitzungssaales in einen Innenhof gesprungen (Höhenunterschied mindestens drei Meter) und war offenbar so weit unverletzt geblieben, dass er erfolgreich flüchten konnte.
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Nur ein schwerer Raub
D as Gericht kehrte aus der Beratung zurück. Alle erhoben sich und das Gericht verurteilte den Angeklagten im Namen des Volkes zu sechs Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe. Das Gericht wandte den Strafrahmen des § 250 Abs. 1 Strafgesetzbuch (drei Jahre Mindeststrafe) an. Die Tat sei in allen Einzelheiten geplant gewesen. Das Gericht sei der festen Überzeugung, dass dazu auch die Pistolenattrappe gehörte. Durch gute Worte lasse sich ein Opfer kaum zur
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