Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
vor dem Gefängnisaufenthalt aufgehört hatte. Er war vielleicht nicht unbelehrbar, aber nah dran!
Schließlich unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung für dreißig Minuten. Danach sollte ich das Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft halten. Bei mir überwog insgesamt die Erleichterung über das Geständnis des Angeklagten. Einen Freispruch würde es jedenfalls nicht geben. Ungeschickt war das Geständnis aber nicht. Die Verteidigung wollte hier ganz offensichtlich von dem hohen Strafmaß des § 250 Abs. 2 Strafgesetzbuch herunter (mindestens fünf Jahre Gefängnis).
Ich nahm letzte Veränderungen an meinen Notizen vor, dann war die halbe Stunde um. Die Tür in der aus Eichenholz |220| geschnitzten Wandvertäfelung hinter der Richterkanzel öffnete sich. Die Richter traten aus dem Beratungszimmer und nahmen Platz. Ich erhob mich und begann mit meinem Plädoyer.
Zunächst ging es um die Festlegung des Strafrahmens, und da der Angeklagte zumindest den einfachen Raub des § 249 Abs. 1 Strafgesetzbuch gestanden hatte, begann ich damit darzulegen, warum auch die höheren Strafqualifikationen des § 250 Strafgesetzbuch erfüllt waren. Es müsse festgestellt werden, dass die Tat nicht spontan, sondern gut geplant durchgeführt wurde. Die Täter kannten den Seiteneingang und schlugen kurz nach Ladenschluss zu. Außerdem benutzten sie verschiedene Fluchtwege. Sie hatten die Örtlichkeiten und die Öffnungszeiten des Ladens vorher ausspioniert. Sie agierten arbeitsteilig mit Maskierung. So gut organisiert und dann wollten sie die Frage der Tatwerkzeuge nicht geregelt haben? Ich erklärte, dass dies ausgeschlossen sei. Wie wollten die Täter die Ladenbesitzer in Schach halten? Durch Hochheben einer Rolle Klebeband oder durch bloße Muskelkraft? Nein, die Einschüchterung durch die Pistolenattrappe passte genau ins Tatbild. Sie war eindeutig Teil des Plans.
Es war zulasten von Sinan H. nicht nachweisbar, dass er einer der beiden Täter war, die auf Werner L. eingeschlagen hatten. Schließlich lagen zwei Masken im Hausflur, und eine konnte von demjenigen stammen, der mit Erika L. beschäftigt gewesen war. Erika L. blutete stark und hatte es mit zwei Tätern zu tun. Und trotzdem hatte sie gesehen, wie ihr Mann mit der Pistole geschlagen wurde. Ihre beiden Widersacher hatten mit ihr eher leichtes Spiel und waren auf die Situation vorbereitet. Und sie sollten nichts von dem |221| mitbekommen haben, was sich vielleicht drei Meter neben ihnen ereignete? Dort spielte schließlich die Musik. Werner L. war der ernstzunehmendere Gegner. In seiner Nähe befand sich auch die Kasse. Natürlich hatten die beiden Täter, die bei Erika L. standen, beobachtet, was da passierte! Also sei die Mindeststrafe von fünf Jahren des § 250 Abs. 2 Strafgesetzbuch zugrunde zu legen, erklärte ich dem Gericht.
Innerhalb dieses Strafrahmens (fünf bis 15 Jahre Gefängnis) waren nun alle strafmildernden und strafschärfenden Gesichtspunkte abzuwägen und eine gerechte Strafe zu finden. Ich hätte überall gesucht, aber strafmildernde Gesichtspunkte gäbe es meines Erachtens nicht. Da sei allenfalls das Geständnis, welches strafmildernd berücksichtigt werden könnte. Im konkreten Fall sei es jedoch ziemlich entwertet. Schließlich habe der Angeklagte zunächst die gesamte Beweisaufnahme abgewartet und sich erst dann zum Geständnis entschlossen, als er mit dem Rücken zur Wand stand. Das Geständnis habe eher taktische Gründe, als dass es eine Distanzierung von der Tat zeige. Hinzu komme, dass er durch das Geständnis nicht zur weiteren Aufklärung der Straftat beitrage. Auch die erbeutete Summe von 1500 Euro sei nicht gerade gering. Für die Opfer stelle das jedenfalls viel Geld dar. Strafschärfend seien zudem die erheblichen Folgen für die Opfer zu berücksichtigen, fuhr ich fort. Ich erklärte, dass ich bis heute nicht verstanden hätte, wie es Erika L. geschafft habe, die zwei Täter abzuschütteln und durch den kleinen Laden- und den gesamten Hausflur bis zur Haustür zu gelangen und um Hilfe zu schreien. Ich könne mir das nur so erklären, dass sie in wahrer Todesangst gekämpft und zusätzliche Kräfte entwickelt hätte. Und kämpfen, das müsse sie auch heute noch. Jede Nacht, wenn die maskierten |222| Täter wieder in ihren Albträumen erschienen. Ich dachte an Erika L. und mir versagte etwas die Stimme. Ich bekam feuchte Augen. Verdammt! Ich schaute nach unten und biss die Zähne zusammen.
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