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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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Die Chancen stehen also gut für uns – für Charline und mich. Die Tatsache der Endlichkeit von Ehen – und zu achtzig Prozent überleben die Frauen ihre Männer! – lässt uns hoffen.
    Wann immer es sich machen lässt, bekommt Charline eine tragende Rolle in meinen Träumen. Ich erzähle ihr anschließend davon – meistens. Wir machen es uns auf dem Sofa gemütlich und los geht’s auf Couchtour.
    Charline-Elke Breitschnabel. Ihr Name klingt absurd, birgt aber eine Tragödie in sich, um die nur wenige Menschen wissen: Ihre Mutter hatte ein Faible für Charlie Chaplin. Wobei Faible nicht das richtige Wort ist – sie liebte ihn abgöttisch. Da sie auch beim fünften Anlauf keinen Jungen bekam, musste eben das letztgeborene Mädchen mit seinem Vornamen ihr Idol ehren. Im Keller, hinter einem losen Backstein, hielt Charlines Mutter Bilder von Charlie Chaplin versteckt. Sobald sich eine Gelegenheit bot, holte sie ihren Schatz hervor und drückte ihn an ihr Herz. Wir wussten davon, haben sie aber nie darauf angesprochen. Wir wollten ihr dieses Geheimnis lassen. Sie hatte zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort »Ja« gesagt, und für diesen Fehler büßte sie ihr Leben lang: Charlines Vater schlug gern zu. Es spielte dabei keine Rolle, ob er betrunken oder nüchtern war. Er schlug, wen er wollte und wann es ihm gerade in den Sinn kam. Charline hat definitiv nichts von ihm. Sie ist wie ihre Mutter, feinfühlig und wunderschön. Wir sind uns einig, dass es keine Gerechtigkeit gibt, sonst hätte Charlines Mutter ihren Mann überlebt und wäre glücklich steinalt geworden. Das Schicksal hatte sie allerdings dazu bestimmt, zu den zwanzig Prozent der verheirateten Frauen zu gehören, die laut Ehepartnerüberlebensstatistik vor ihren Männern das Zeitliche segnen. Sie starb an Charlines sechzehntem Geburtstag. Ihr Herz war zu oft gebrochen. Ihre letzten Wochen verbrachte sie in einem Pflegeheim. Ich glaube, es waren die glücklichsten ihres Lebens. Charlines Vater lag währenddessen zu Hause auf dem Sofa und trank Schnaps. Die leeren Flaschen schmiss er nach jedem, der den Kopf zur Tür hereinsteckte, und so ließen ihn schließlich alle in Ruhe. Er besuchte seine Frau nie. Warum auch? Sie hatte ihn alleingelassen, mit all der Arbeit am Haus, den Gören, dem Garten, den er nie wollte, und einer Gefriertruhe voller Grünzeug. »Verdammtes Weib, faules Stück …«, brüllte er ihr hinterher, als die Notärzte sie auf einer Bahre aus dem Haus trugen, nachdem sie zusammengebrochen war. »Warte, wenn du nach Hause kommst …«, verhallte seine Drohung im Sirenengeheul. Er pöbelte im Hof herum, trat und boxte in die Luft, bis ihm das passende Ventil für seinen Frust ins Auge stach: Er sah rot, überall rot. Zu Hunderten, nein, ach, zu Tausenden, reckten sich die Begonienblüten der Sonne entgegen, als er wie ein Stier darauflos stampfte und die Pracht mit der Sense köpfte. Ich war heilfroh, dass Charlines Kopf noch dran war, als ich das Chaos sah. Meine Eltern haben sie auf mein Betteln hin dann scheinadoptiert und ihr jederzeit Asyl gewährt, wenn ihr Vater mal wieder seine »Launen« hatte, wie meine Mutter es nannte.
    Das Pflegeheim »Zum heiligen Geist« – das ist kein Scherz, so heißt es wirklich – ist tagsüber eine charmante alte Villa im Grünen, die jedem Besucher ein Ach-wie-nett-Lächeln entlockt. Schlicht, sauber, mit freundlichen Schwestern, die in Nonnentracht wie Riesenpinguine durch die Räume watscheln und die fast ausschließlich bettlägerigen Patienten umsorgen. Doch nachts, nachts, würden mich keine zehn Pferde in diesen maroden Kasten bringen. Da spukt zweifellos so einiges durch die Flure und nichts davon ist heilig, dessen bin ich mir sicher.
    Charlines Mutter lag in einem Einzelzimmer mit Blick auf den Park, aber den brauchte sie gar nicht. Am Fußende ihres Bettes, auf einer Kommode, stand ein alter Fernseher mit Videorekorder. Von morgens bis abends, sogar in der Nacht, flimmerte Charlie Chaplin in dem Film Moderne Zeiten über den Bildschirm. Sie starb mit der Fernbedienung in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen, weil er, ihr Charlie, das Letzte war, was sie in ihrem Leben sah. Wann immer wir uns an sie erinnern, stellen wir uns sie im Himmel mit ihm vereint vor. Es muss so sein. Wo Gerechtigkeit versagt, triumphiert die Hoffnung.
    Charline ist verheiratet – seit einer Ewigkeit. Sie wollte unbedingt weg von zu Hause, um endlich das kennenzulernen, was viele von uns als

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