Auf Couchtour
richtige Verhältnis. Für wie viel Geld ist man bereit, was zu tun. Momentan wiegt mein Gehalt den zwischenmenschlichen Stress nicht auf. Ich merke, wie ich mich negativ verändere. Ich erwische mich immer öfter dabei, auf ungesunde Weise gehässig oder schadenfroh zu sein. Das Wort ungesund ist dabei entscheidend. Meine innere Gut-und-Böse-Waage ist komplett aus dem Gleichgewicht geraten. Genauso fühle ich mich auch, unausgeglichen und krank. Dass Nomen bei mir nicht gleich Omen ist, haben wir ja geklärt. Wenn ich jemanden nicht mag, lasse ich es ihn spüren. Ich lästere, stichele und lache, wenn er sich den Kopf stößt, ohne vorher zu fragen, ob es wehtut. Alles im normalen Bereich. Ich nehme niemandem etwas weg, und ich bin keine Intrigantin oder Streberin. Ich schätze Offenheit, diskutiere gern, gehe aber Streitereien aus dem Weg, na ja, meistens. Ich bin impulsiv und spreche oft Dinge aus, über die ich besser erst nachgedacht hätte. Privat ist das okay, denke ich, Familie und Freunde wissen schon, wie sie mit mir umzugehen haben – im Berufsleben ist das aber eher unangebracht. Daher lasse ich es – zumeist. Ich möchte in Ruhe arbeiten und mich lieber privat auspowern. Bis vor einem Jahr war mir das vergönnt. Als Alina Bauer und ihre Busenfreundin Anja Brandt eingestellt wurden, endete mein friedliches Arrangement mit mir selbst. Ich nenne die beiden ABBA. Alina ist die treibende nervenaufreibende Kraft, Anja eigentlich nur Mitläuferin. Sie sind beide Anfang zwanzig und definieren sich ausschließlich über ihren Beruf. Was ich von solchen Leuten halte, erwähnte ich bereits. ABBA fühlen sich mit gerade mal einem Jahr Berufserfahrung als allwissende Wunderheilerinnen. Ihre Interessen beschränken sich ausschließlich auf Therapieformen und Heilmethoden. Sie sind Krankengymnastinnen. Natürlich weiß ich, dass diese medizinischen Hilfspfuscher sich mittlerweile Physiotherapeuten nennen – klingt ja auch wesentlich erhabener. Für mich sind und bleiben sie kranke Gymnasten, die sich lediglich eine Bezeichnung erschlichen haben, die verspricht, was sie nicht hält. An dieser Stelle muss ich Ihnen erklären, dass es Berufsgruppen gibt, die von jeher verfeindet sind, daher sollte man sie nie zusammen in einen Aufenthaltsraum stecken: Köche und Kellner, Banker und Bankräuber oder Masseure und Krankengymnasten. Letztere unterscheiden sich bereits in ihrer Physiologie. Masseure sind kräftige, fleischfressende, Bierdosen mit den Zähnen aufbeißende Wohltäter. Es sind sympathische Kumpel, die gerne ihre Ärmel hochkrempeln und tatkräftig Hilfe leisten. Fast alle können ihren Namen rülpsen oder die Nationalhymne gurgeln. Krankengymnasten hingegen sind mickrige mäkelnde Zicken im Selbstüberschätzungswahn, die an Gemüseständen zehn Tomaten eindrücken und eine kaufen, um diese dann geschält und entkernt auf ein Vollkornbrot vom Biobäcker zu drapieren. Sie beißen einmal ab und lehnen sich anschließend satt zurück. Sie brauchen, um zu verdauen, einen fettarmen Darm-Aktiv-Joghurt! Anpacken ist unter ihrer Würde. Sie kommandieren und besserwissern lieber. Alles und jeden müssen sie korrigieren und kommentieren. Sie sind wie Sand im Auge. Wäre ich eine Kuh, wären sie die Fliegen auf meinem Hintern. Wie dem auch sei. Ich habe mehr Sachverstand im kleinen Finger, als ABBA in ihren Leben je erlangen werden. Da, sehen Sie, ich schreibe schon wie eine Idiotin, die meint, beweisen zu müssen, dass sie etwas taugt. So weit ist es schon.
Für Alina ist jeder Tag ein beruflicher Wettbewerb. Ich hasse solche Spielchen! Wer ist besser? Wer ist beliebter? Wer ist kompetenter? Ist mir doch schnuppe! Ihr nicht. Ich habe kein Interesse daran, mich mit Menschen zu messen, die gerade so viel wiegen wie mein Frühstück. Es kommt aber vor, dass wir beide den gleichen Patienten behandeln – sie als Krankengymnastin, ich als Masseurin. Für sie ist das der Gongschlag, der die erste Runde eröffnet. Sie revidiert meine Absprachen mit dem Patienten. No go. Sie entlässt ihn zu spät aus der Therapie, damit ich weniger Zeit für die Behandlung habe, was sie gut und mich mies dastehen lässt. Sie radiert in meinem Plan herum, verschiebt Termine, ohne mich vorher zu fragen. Sie untergräbt meine Autorität und beschwert sich bei unserer Chefin über meine angebliche Weigerung, zu kooperieren. Bin ich krank, hinterfragt sie das so lange, bis jeder glaubt, ich würde mir ein paar zusätzliche Urlaubstage gönnen.
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