Auf das Leben
Geschichten. Einige dieser Geschichten blieben in mir haften, wuchsen in mir weiter, ängstigten mich, hielten mich nachts wach … Ich erfuhr auch von vielen seltsamen Dingen, die geschehen waren, obwohl sie eigentlich nicht hätten geschehen können oder dürfen, von Zufällen, die mehr sein mussten als nur Zufälle. Ich hörte Stimmen, die nicht da waren, und sah Dinge, die noch nicht geschehen waren. Und als Rabbi hatte ich gelernt, immer hinter eine Geschichte zu blicken, darauf zu achten, was sich zwischen den Buchstaben und den Zeilen verbirgt … eine andere Dimension wahrzunehmen, wie der Prophet Elias empfindsam zu sein für die leisen, inneren Stimmen.
So kam es, dass diese Geschichten geschrieben wurden. Sie sind alle »wahr«, obwohl ich sie erfunden habe. Manche sind reine Fiktion, während andere sich auf Ereignisse in meinem eigenen Berufsleben oder dem meiner Kollegen beziehen - in diesen Fällen wurden Details so verändert, dass keiner, der diese Geschichten liest, die Menschen dahinter erkennen kann und keiner das Gefühl bekommt, seine persönliche Geschichte sei missbraucht worden.
Aber jeder, der längere Zeit mit Menschen gearbeitet hat, wird wissen, dass manche Geschichten, die man erfährt, so absurd klingen, dass sie völlig unglaubwürdig scheinen - dass sie jedoch trotzdem wahr sein können. Und jeder, der in einer jüdischen Gemeinde gearbeitet hat, kennt die verschiedenen Formen von Schuld und Unterlassung, die Sprünge und die Auslassungen in den Lebensgeschichten, die Veränderung von Namen und Identitäten, die inneren Konflikte, die auf der gemeindlichen Ebene ausgespielt werden. Die Geheimnisse, die nie gelöst werden. Die Konflikte, die nie zur Ruhe kommen. Einige von ihnen werden hier beschrieben.
Aber der Rest ist Fantasie. Muss es sein. Oder …
Rabbiner Walter Rothschild
Berlin, 2003-2007
Glossar
Alejnu: (hebr.) »Uns obliegt es (zu preisen …)«. Beginn eines Hymnus, der an die Einzigkeit Gottes und die Auserwähltheit Israels die Zuversicht knüpft, dass Gottes Reich auf Erden bald kommt. Die Formel »Alejnu« ist der Abschluss des Morgen- und Abendgebetes.
Amida: (hebr.: »Stehen«) Das Achtzehngebet bildet den Mittelpunkt jeden Gottesdienstes. Da dieses Gebet stets stehend gesprochen wird, bezeichnet man es auch oft als die Amida.
Ani ma’amin: (hebr.: »Ich glaube«) Die 13 Glaubensartikel des Rabbiners Maimonides, formuliert um das Jahr 1200. Vorausgegangen war der Wunsch, dass auch das Judentum, ähnlich wie andere Religionen, ein allgemein anerkanntes Glaubensbekenntnis besäße - auf welches man sich dann, in Diskussionen mit Anhängern des Islam und des Christentums, berufen konnte. Jeder Satz beginnt mit » Ani ma’amin b’emuna schlema … Ich glaube mit ganzem Glauben …«
Aufruf zur Tora: (von hebr. Alija: »Aufstieg«). Man wird in der Synagoge zum Lesen eines Toraabschnittes aufgerufen. Da die Tora meist von einem erhöhten Platz aus gelesen wird, spricht man davon, dass man zum Vorlesen der Tora hinaufsteigt.
Bar Mizwa: (hebr.: »Sohn des Gesetzes, Sohn des Gebotes«) Bezeichnung einerseits für den religionsmündigen jüdischen Jugendlichen, andererseits auch für den Tag, an dem er diese Religionsmündigkeit erwirbt, und für die oft damit verbundene Feier. Bei diesem Ritus wird der Junge in die Gemeinde aufgenommen. Bar Mizwa - religionsmündig - wird ein Jude automatisch an seinem 13. Geburtstag. Meist wird die Aufnahme am Schabbat nach dem 13. Geburtstag gefeiert.
Bima: (hebr.: »Bühne«) das Lesepult bzw. der Platz des Lesepults für die Tora in einer Synagoge. Die zentrale Position der Bima im Raum wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Kennzeichen orthodoxer Synagogen, wohingegen liberale jüdische Gemeinden die Bima manchmal auch im vorderen Teil der Synagode platziert haben.
Brachot: (hebr.: »Segenssprüche«; Sing.: Bracha ) Die Segenssprüche erinnern den gläubigen Juden an die Existenz Gottes und an dessen Güte und ermöglichen dem Gläubigen, sich bei Gott zu bedanken. Zu jeder Lebenslage gibt es eine Bracha, etwa nach dem Essen, morgens beim Aufstehen oder wenn man einem Unglück entkommen ist.
Cheder: (hebr.: »Zimmer«) Die Bezeichnung für die traditionellen, religiös geprägten Schulen, wie sie im westeuropäischen Judentum bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und im osteuropäischen Judentum bis zum Holocaust üblich waren. Der Cheder-Unterricht fand oft im Haus des Lehrers statt, der
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