Auf dem Jakobsweg
würde.
Petrus erschien in der Tür und bedeutete mir wortlos, daß ich ihm folgen solle.
Wir gelangten in einen Garten im Inneren des Klosters, der von einem Kreuzgang umgeben war. In der Mitte des Gartens stand ein Brunnen, und auf seinem Rand saß der Pater mit der Brille. »Pater Expedito, dieser hier ist der Wallfahrer«, stellte Petrus mich vor.
Der Pater streckte mir seine Hand hin, und ich begrüßte ihn. Dann schwiegen wir. Ich wartete darauf, daß irgend etwas passierte, doch ich hörte nur Hähne in der Ferne krähen und die Rufe der jagenden Sperber. Der Pater blickte mich ausdruckslos an, ähnlich wie Madame Savin, als ich das alte Wort gesagt hatte.
Schließlich, nach einem langen, quälenden Schweigen, sagte Pater Miguel:
»Mir scheint, Sie sind die Stufen der >Tradition< zu früh hinaufgestürmt, mein Bester.«
Ich entgegnete, daß ich bereits 38 Jahre alt sei und die Ordalien alle erfolgreich bestanden hätte.
»Außer einer, der letzten und wichtigsten«, sagte er, indem er mich weiterhin ausdruckslos anstarrte. »Und ohne diese Feuerprobe ist alles, was Sie gelernt haben, bedeutungslos.« »Deshalb mache ich jetzt die Wallfahrt nach Santiago.« »Das garantiert überhaupt nichts. Kommen Sie mit mir.« Petrus blieb im Garten zurück, und ich folgte Pater Miguel. Wir durchquerten Klosterhöfe, kamen an der Stelle vorbei, an der König Sancho der Starke begraben lag, und gelangten zu einer kleinen Kapelle, die abseits der Hauptgebäude lag, die das Kloster von Roncesvalles bildeten.
Die Kapelle war leer, bis auf einen Tisch, ein Buch und ein Schwert. Aber es war nicht meines.
Pater Miguel setzte sich an den Tisch und ließ mich stehen. Dann nahm er einige Kräuter, zündete sie an, und der Raum füllte sich mit Düften. Die Situation erinnerte mich immer mehr an mein Zusammentreffen mit Madame Savin.
»Zuerst einmal werde ich Sie aufklären«, sagte Pater Miguel. »Der Jakobsweg ist nur einer von vier Wegen. Es ist der Weg des Schwertes. Er kann Ihnen Macht geben, aber das reicht nicht.«
»Und welche sind die anderen drei?«
»Ich kenne zumindest noch zwei: den Weg nach Jerusalem, der zugleich der Weg der Kelche oder des Grals ist, der einem die Macht verleiht, Wunder zu tun, und den Weg nach Rom, der auch der Weg der Stäbe genannt wird und einem die Kommunikation mit anderen Welten ermöglicht.«
»Da fehlt noch der Weg der Münzen, um die vier Farben der Tarotkarten zu komplettieren«, scherzte ich. Und Pater Miguel lachte.
»Genau. Dies ist der geheime Weg, den Sie, wenn Sie ihn eines Tages gehen sollten, niemandem verraten dürfen. Aber lassen wir ihn einstweilen außen vor. Wo sind Ihre Jakobsmuscheln?«
Ich öffnete den Rucksack und holte die Muscheln mit dem Bildnis Unserer Jungfrau von der Erscheinung heraus. Er stellte sie auf den Tisch, breitete beide Hände über sie aus, begann sich zu konzentrieren und bat mich, es ihm gleichzutun. Der Duft, der in der Luft lag, wurde immer intensiver. Sowohl der Pater als auch ich hatten die Augen geöffnet, und plötzlich sah ich, daß genau das geschah, was ich damals in Itatiaia gesehen hatte: Die Muscheln leuchteten. Das Leuchten wurde immer stärker, und ich hörte eine geheimnisvolle Stimme aus der Kehle des Pater Miguel klingen, die sagte:
»Dort, wo dein Schatz ist, dort wird dein Herz sein.« Das war ein Satz aus der Bibel. Die Stimme fuhr fort:
»Dort, wo dein Herz ist, wird die Wiege des zweiten Kommens Jesu Christi sein; wie diese Muscheln ist auch der Wallfahrer auf dem Jakobsweg nur eine Hülle. Wenn die Hülle aufbricht, erscheint das aus Agape bestehende Leben.«
Er zog seine Hände zurück, und die Muscheln hörten auf zu leuchten. Dann schrieb er meinen Namen in das Buch, das auf dem Tisch lag. Auf dem ganzen Jakobsweg habe ich nur drei Bücher gesehen, in die mein Name geschrieben wurde: das Buch von Madame Savin, das des Pater Miguel und das Buch der Macht, in das ich später selber meinen Namen schreiben sollte.
»Das war's«, sagte er. »Sie können mit dem Segen der Jungfrau von Roncesvalles und dem Segen des heiligen Jacobus vom Schwert weiterziehen.«
»Der Jakobsweg wird durch gelbe Punkte angezeigt, die überall in Spanien zu finden sind«, sagte der Pater, während wir zu der Stelle zurückkehrten, an der Petrus auf uns wartete. »Wenn Sie sich irgenwann einmal verlaufen sollten, suchen Sie nach den gelben Zeichen - an Bäumen, auf Steinen, auf Wegweisern -, und Sie werden einen sicheren Ort erreichen.«
»Ich habe einen
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