Auf dem Jakobsweg
Bett und erwachte erst wieder am nächsten Tag. Ich hatte zwar etwas Fieber, fühlte mich jedoch gut.
Petrus brachte Wasser aus einem Brunnen, den die Dorfbewohner den Brunnen ohne Grund nannten, und wusch meine Wunden. Am Nachmittag erschien er mit einer Alten, die in der Nähe wohnte. Die beiden legten verschiedene Kräuter auf meine Wunden und Kratzer, und ich bekam einen bitteren Tee zu trinken. Ich erinnere mich daran, daß Petrus mich zwang, jeden Tag meine Wunden zu lecken, bis sie ganz verheilt wären. Dabei schmeckte ich immer den metallischsüßen Blutgeschmack, und davon wurde mir übel, doch mein Führer behauptete, Spucke sei ein ausgezeichnetes Desinfektionsmittel, das mir helfen würde, eine mögliche Infektion zu bekämpfen.
Am nächsten Tag kehrte das Fieber zurück. Petrus und die Alte flößten mir wieder Tee ein und beschmierten die Wunden mit Kräutern, doch das Fieber sank nicht. Mein Führer machte sich darauf zu einer Militärbasis in der Nahe auf, um Verbandszeug zu holen, da es im ganzen Dorf keine Gaze oder Pflaster gab. Nach einigen Stunden kam Petrus mit dem Verbandszeug zurück. Er war begleitet von einem jungen Offizier, der unbedingt wissen wollte, wo das Tier sei, das mic h gebissen hatte.
»Der Wunde nach zu urteilen, hatte das Tier Tollwut«, verkündete er in ernstem Militärarzttonfall.
»Ach was«, winkte ich ab. »Das war eine Spielerei, die etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Ich kenne das Tier schon lange.« Der Offizier ließ sich nicht überzeugen. Er wollte mir unbedingt eine Tollwutimpfung verpassen, und ich mußte zumindest eine Injektion über mich ergehen lassen, sonst hätte er mich ins Militärhospital gebracht. Dann fragte er mich, wo das Tier sei. »In Foncebadon«, antwortete ich.
»Foncebadon ist ein zerstörtes Dorf. Da gibt es keine Hunde«, meinte er vorwurfsvoll, als hätte er mich gerade bei einer Lüge ertappt.
Ich stieß einige gespielte Jammerlaute aus, und der Militärarzt wurde von Petrus aus dem Zimmer geführt. Doch er ließ alles zurück, was wir brauchten: sauberes Verbandszeug, Pflaster und eine Heilsalbe.
Petrus und die Alte benutzten diese Salbe allerdings nicht. Sie umwickelten die Wunden mit Gaze, zwischen die Kräuter gelegt waren. Das gefiel mir sehr, denn so mußte ich nicht mehr die Stellen ablecken, an denen mich der Hund gebissen hatte. Nachts knieten beide an meinem Bett und legten ihre Hände auf meinen Körper. Dabei beteten sie laut. Ich fragte Petrus, was es damit auf sich habe, doch er brummte nur etwas von Charismen und dem Pilgerweg nach Rom. Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
Zwei Tage später war ich wieder gesund. Ich trat ans Fenster und sah ein paar Soldaten die Häuser des Dorfes und die nahegelegenen Hügel durchsuchen. Ich fragte einen von ihnen, was los sei.
»Es gibt einen tollwütigen Hund in der Gegend«, war seine Antwort. Am selben Nachmittag kam der Schmied, der Besitzer der Zimmer, und bat uns, die Stadt zu verlassen, sobald ich wieder gehen könne. Die Geschichte hatte unter den Dorfbewohnern die Runde gemacht, und sie befürchteten, ich könnte die Tollwut bekommen und die anderen anstecken. Petrus und die Alte versuchten den Schmied zur Räson zu bringen, doch er blieb hart. Er ging sogar so weit zu behaupten, er habe gesehen, daß mir im Schlaf etwas Schaum aus dem Mundwinkel geronnen sei.
Nichts konnte ihn davon überzeugen, daß dies jedem von uns im Schlaf passieren könne. In dieser Nacht beteten die Alte und mein Führer lange und legten wieder die Hände auf meinen Körper. Und am nächsten Tag befand ich mich, zwar noch etwas humpelnd, wieder auf dem Jakobsweg.
Ich fragte Petrus, ob er sich wegen meiner Genesung Sorgen gemacht habe.
»Es gibt eine Faustregel auf dem Jakobsweg, die lautet: Der einzige Grund, die Wallfahrt abzubrechen, ist, wenn du krank wirst. Wenn die Wunden nicht verheilt wären und du weiterhin Fieber gehabt hättest, wäre das ein Zeichen gewesen, daß wir unsere Reise hier abbrechen müssen. Doch«, meinte er mit einer gewissen Genugtuung, »die Gebete wurden erhört.« Offensichtlich war mein Durchhaltevermögen für ihn genauso wichtig wie für mich.
Der Weg führte nun bergab, und Petrus kündigte mir an, daß dies noch zwei Tage so weiterginge. Wir hatten unseren gewohnten Wanderrhythmus wieder aufgenommen. Wenn die Sonne am höchsten stand, machten wir jeden Nachmittag unsere Siesta. Wegen meiner Verbände trug Petrus meinen Rucksack. Er hatte es jetzt nicht mehr so eilig:
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