Auf dem Jakobsweg
er. »Er mußte sich einen Feind erküren, um seinen Kampf auf Erden zu versinnbildlichen und zu verherrlichen.«
Die Holzkreuze am Wege gaben Zeugnis davon, wie diese Glorie errungen worden war, mit Blut und Verrat. Ich erhob mich und sagte, ich sei bereit, den Weg fortzusetzen.
Während wir wanderten, fragte ich, was das Stärkste sei, auf das sich ein Mensch stützen könne, um den Feind zu besiegen. »Die Gegenwart. Der Mensch stützt sich am besten auf das, was er gerade tut, denn dort ist die Agape, der Wille, mit Begeisterung zu siegen.
Der Feind verkörpert in den seltensten Fällen das Böse. Er ist immer gegenwärtig, denn ein Schwert, das nicht benutzt wird, verrostet in seiner Scheide.«
Mir fiel ein, daß meine Frau damals, als wir unser Ferienhaus bauten, in letzter Minute die Aufteilung eines der Zimmer änderte. Mir fiel die undankbare Aufgabe zu, dem Maurer diese Änderung mitzuteilen. Ich rief den fast Sechzigjährigen zu mir und sagte ihm, was ich wollte. Er schaute es sich an, überlegte und machte dann einen sehr viel besseren Vorschlag, indem er die Wand nutzte, die er gerade hochzog. Meine Frau fand die Idee wunderbar.
Vielleicht wollte Petrus mir mit komplizierten Worten genau das sagen, nämlich daß wir die Kraft dessen, was wir gerade tun, nutzen sollten, um den Feind zu besiegen.
Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem Maurer.
»Das Leben lehrt uns immer mehr als der Jakobsweg«, antwortete er. »Nur vertrauen wir den Lehren des Lebens meist nicht.«
Die Kreuze säumten im Abstand von dreißig Metern die Rota Jacobea. Es mußte das Werk eines Pilgers mit geradezu übermenschlichen Kräften sein. Sonst hätte er das feste, schwere Holz nicht aufrichten können.
»Diese Kreuze sind ein altes, überholtes Folterinstrument. Wahrscheinlich hat jemand ein Gelübde abgelegt, was weiß ich.«
Wir blieben vor einem der Kreuze stehen. Es war umgestürzt. »Vielleicht war das Holz morsch«, meinte ich.
»Das Holz ist nicht anders als das der anderen. Keins ist morsch.«
»Dann wurde es wohl nicht richtig in die Erde eingelassen.« Petrus blieb stehen und blickte um sich. Er ließ den Rucksack zu Boden gleiten und setzte sich. Dabei hatten wir erst vor ein paar Minuten Rast gemacht. Instinktiv blickte auch ich mich um und hielt Ausschau nach dem Hund.
»Du hast den Hund besiegt«, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen. »Fang jetzt nicht an, Gespenster zu sehen.« »Und warum rasten wir schon wieder?«
Petrus machte mir ein Zeichen, still zu sein, und verfiel in längeres Schweigen.
Nach geraumer Weile fragte er unvermittelt:
»Was hörst du?«
»Nichts. Die Stille.«
»Schön wär's, wenn wir so erleuchtet wären, daß wir die Stille hörten! Aber wir Menschen können ja noch nicht einmal unser eigenes Geschwätz hören. Du hast mich gefragt, wie ich das Kommen der Legion vorausgefühlt habe. Ich will es dir sagen: Ich habe es gehört. Das Geräusch begann schon vor vielen Tagen. Damals waren wir noch in Astorga. Von dort an bin ich schneller gegangen, denn alles wies darauf hin, daß unsere Wege sich in Foncebadon kreuzen würden. Du hast dasselbe Geräusch gehört, aber du hast es nicht beachtet.
Alles steht in dem Geräusch geschrieben: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Menschen. Ein Mensch, der nicht hören kann, verschließt sich den Ratschlägen, die uns das Leben fortwährend anbietet. Nur wer das Geräusch der Gegenwart wahrnimmt, kann die richtige Entscheidung treffen.« Petrus bat mich, den Hund zu vergessen und mich zu ihm zu setzen, er würde mich jetzt eine der einfachsten und wichtigsten Praktiken des Jakobsweges lehren.
Und er erklärte mir das Exerzitium des Hörens.
»Am besten, du probierst es gleich aus.«
Ich hörte den Wind, eine Frauenstimme in der Ferne, und irgendwann hörte ich das Knacken eines Zweiges. Das war wirklich keine schwierige Übung, und ihre Einfachheit faszinierte mich. Ich preßte das Ohr auf den Boden und begann, den dumpfen Ton der Erde zu vernehmen. Ganz allmählich lernte ich die Geräusche voneinander zu unterscheiden: das Geräusch der reglosen Blätter, eine Stimme in der Ferne, das Geräusch schlagender Vogelflügel. Ein Tier grunzte, doch ich konnte nicht heraushören, was für ein Tier das war.
Die fünfzehn Minuten dieses Exerzitiums vergingen wie im Fluge.
»Mit der Zeit wirst du sehen, daß dieses Exerzitium dir helfen wird, die richtige Entscheidung zu treffen«, sagte Petrus, ohne mich zu fragen, was ich denn gehört hatte.
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