Auf dem Jakobsweg
Haß schien ihn zu stören. »Petrus wird schon seinen Grund haben«, dachte ich, doch ich konnte diese Knechtschaft, die Art, wie er mich erniedrigt hatte, nicht begreifen. Da verwandelte sich der Erdboden in sein Gesicht, und ich schlug mit dem Stein darauf, und die Wut verlieh mir neue Kraft. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit: Früher oder später würde ich es schaffen.
Als ich daran dachte, schlug der Stein auf etwas Hartes und fiel mir aus der Hand. Genau das hatte ich befürchtet. Nach so langer Arbeit war ich auf einen anderen Stein gestoßen, der zu groß war, als daß ich hätte weitermachen können.
Ich erhob mich, wischte mir den Schweiß vom Gesicht und begann zu überlegen. Ich besaß nicht genug Kraft, um das Kreuz an einen anderen Platz zu schleppen. Ich konnte nicht noch einmal von vorn anfangen, denn meine linke Hand war inzwischen fast taub. Das war schlimmer als der Schmerz und bereitete mir Sorgen. Meine Finger gehorchten mir zwar noch, aber lange konnte ich nicht mehr weitermachen.
Ich schaute in das Loch. Es war nicht tief genug, um das Kreuz mit seinem ganzen Gewicht zu halten.
»Die falsche Lösung wird dir die richtige zeigen.« Mir fielen das Exerzitium der Schatten und Petrus' Satz wieder ein, demzufolge die Praktiken der R.A.M. nur dann einen Sinn hatten, wenn sie im Alltag zur Anwendung kamen, Demnach mußten sie auch in einer so absurden Situation wie dieser zu etwas nütze sein.
»Die falsche Lösung wird dir die richtige zeigen.« Der unmögliche Weg war, das Kreuz an einen anderen Platz zu schleppen, weil mir dazu die Kraft fehlte. Der unmögliche Weg war, noch tiefer zu graben.
Wenn der falsche Weg also war, weiterzugraben, war der richtige Weg, den Boden zu erhöhen. Aber wie?
Und plötzlich kam meine ganze Liebe zu Petrus wieder zurück. Er hatte recht. Ich konnte den Boden erhöhen.
Ich begann, alle Steine im Umkreis zusammenzutragen und um das Loch herum zu legen und mit der herausgegrabenen Erde zu vermischen. Unter großer Mühe hob ich das Kreuz an und legte Steine darunter, damit es höher lag. In einer halben Stunde war der Boden höher und das Loch ausreichend tief. Nun mußte ich nur noch das Kreuz in das Loch hineinbekommen. Eine Hand war gefühllos, die andere schmerzte höllisch. Meine Arme waren verbunden. Doch mein Rücken war unverletzt, hatte nur einige Kratzer. Wenn ich mich unter das Kreuz legte und es ganz allmählich anhob, konnte ich es in das Loch gleiten lassen.
Ich legte mich auf den Boden, spürte den Staub in Mund und Augen. Mit der gefühllosen Hand hob ich das Kreuz etwas an und legte mich darunter. Vorsichtig rückte ich mich so hin, daß der Stamm auf meiner Wirbelsäule auflag. Ich erinnerte mich an das Exerzitium vom Samenkorn und begann, mich so langsam, wie es irgend ging, in fötaler Haltung unter das Kreuz zu hocken, das ich mit meinen Schultern ausbalancierte. Mühsam richtete ich mich halb auf. Einen Moment lang kippelte die Basis des Kreuzes auf dem Steinhaufen, doch es blieb, wo es war. »Wie gut, daß ich nicht das Universum retten muß«, dachte ich, während mich das Kreuz und alles, was es verkörperte, fast erdrückte. Und ein Gefühl tiefster Religiosität durchströmte mich.
Dann erhob ich mich langsam auf die Knie. Ich konnte nicht hinter mich blicken, die Geräusche waren meine einzige Orientierung. Doch ich hatte ja kurz zuvor gelernt, die Welt zu hören, als hätte Petrus vorausgesehen, daß ich dieses Wissen jetzt brauchen würde. Ich hörte, wie Gewicht und Steine sich aneinander anpaßten, und das Kreuz richtete sich langsam auf, um mich von dieser Prüfung zu erlösen und wieder seinen Platz am Jakobsweg einzunehmen.
Jetzt fehlte nur noch die allerletzte Anstrengung. Wenn ich auf meine Fersen hockte, mußte das Kreuz von meinem Rücken herunter in das Loch gleiten. Ein oder zwei Steine sprangen weg, doch das Kreuz blieb stabil. Dann kam der entscheidende Augenblick wie damals im Wasserfall, als ich durch das Wasser hindurchmußte. Der schwierigste Augenblick, in dem alles auf dem Spiel steht und man aus Angst vor dem Scheitern lieber vorher aufgibt. Mir wurde noch einmal das Absurde an meiner Aufgabe bewußt: ein Kreuz aufrichten, wo ich doch nur mein Schwert wiederfinden und alle Kreuze umstoßen wollte, damit Christus, der Erlöser der Welt, wiedergeboren würde. All dies war unwichtig. Mit einem jähen Ruck hob ich die Schultern, und das Kreuz glitt herab.
Ich sprang zur Seite und hörte den dumpfen Aufprall auf dem
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