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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
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Gefährt vollkommen. Es gibt keine kumulative Erfahrung, sondern eine Art »Wunder«, das sich erst in dem Augenblick vollzieht, in dem das Fahrrad »uns fährt«, oder besser gesagt, wenn wir bereit sind, uns dem Gleichgewicht der beiden Räder anheimzugeben. Und indem wir uns ihm anheimgeben, benutzen wir den ursprünglichen Impuls zu fallen dazu, ihn in eine Kurve oder einen Antrieb für die Pedale zu verwandeln. Hier nun, am Cebreiro, merkte ich, daß das Wunder geschehen war. Bisher war ich den Jakobsweg gegangen, jetzt »ging er mich«. Ich folgte dem, was man allgemein Intuition nennt. Und wegen der alles verschlingenden Liebe, die mich den ganzen Tag durchströmte, und weil ich das Geheimnis meines Schwertes entdeckt hatte und aus der Zuversicht heraus, daß der Mensch im Augenblick der Krise schon die richtige Entscheidung trifft, schritt ich furchtlos auf den Nebel zu. »Irgendwo muß diese Wolkendecke doch aufhören«, dachte ich, während ich mich bemühte, die gelben Markierungen auf den Steinen und den Bäumen am Weg zu erkennen. Seit einer Stunde sah ich kaum die Hand vor Augen, und ich sang immer weiter, um die Angst zu vertreiben, und wartete darauf, daß etwas Außergewöhnliches geschah. Mitten im Nebel, ganz allein in dieser unwirklichen Umgebung, sah ich mich auf dem Jakobsweg noch einmal wie in einem Film in dem Augenblick, wo der Held etwas tut, was niemand tun würde, während das Publikum sich denkt, daß so etwas nur im Kino passiert. Doch ich erlebte diese Situation im wirklichen Leben. Der Wald wurde immer stiller, und der Nebel begann sich ein wenig zu lichten. Vielleicht war er ja bald zu Ende, doch er tauchte alles um mich herum in ein geheimnisvolles, fast unheimliches Licht. Die Stille war jetzt fast vollkommen, und ich bemerkte es erst, als ich eine Frauenstimme links von mir zu hören glaubte. Ich blieb sofort stehen. Hoffte, ich würde sie wieder hören, doch es war wieder still. Ich hörte nichts, nicht einmal die üblichen Geräusche des Waldes, die Grillen, Insekten, Tiere, die auf trockene Blätter traten. Ich schaute auf die Uhr. Viertel nach fünf. Es mußten noch etwa vier Kilometer bis nach Torrestrela sein, und wenn ich mich beeilte, kam ich ohne weiteres noch vor Einbruch der Nacht dort an.
Als ich aufschaute, hörte ich wieder die Frauenstimme. Damit begann eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens. Die Stimme kam nicht von irgendwo aus dem Wald, sondern aus meinem Innern. Ich hörte sie ganz klar und deutlich. Es war weder meine Stimme noch die von Astrain. Sie sagte mir nur, ich solle weitergehen, und ich gehorchte, ohne zu zögern. Der Nebel wurde immer dünner, und vor mir auf dem steilen, rutschigen Gelände ragten ein paar vereinzelte Bäume auf. Dann, unvermittelt, wie durch Zauberhand, löste sich der Nebel ganz auf. Und vor mir erhob sich auf dem Gipfel des Berges das Kreuz.
Ich blickte um mich, sah ein Meer von Wolken, dort, wo ich herausgetreten war, und hoch über mir ein weiteres Wolkenmeer. Zwischen diesen beiden Ozeanen lagen die Gipfel der höchsten Berge und der Gipfel des Cebreiro mit dem Kreuz. Mich überkam der Wunsch zu beten. Obwohl mir klar war, daß dies mich vom Weg nach Torrestrela abbringen würde, beschloß ich, bis zum Gipfel hinaufzusteigen und meine Gebete am Fuße des Kreuzes zu sprechen. Während des vierzigminütigen Aufstiegs war alles um mich herum und in mir still. Die Sprache, die ich erfunden hatte, war versiegt, ich brauchte sie nicht mehr, um mit Gott und den Menschen zu kommunizieren. Der Jakobsweg »ging mich«, und er würde mich zu dem Ort führen, an dem sich mein Schwert befand. Petrus hatte wieder einmal recht behalten.
Als ich oben auf dem Gipfel ankam, saß ein Mann neben dem Kreuz und schrieb. Im ersten Moment hielt ich ihn für einen Boten, eine übernatürliche Vision. Doch dann sah ich die Kammuschel auf seinem Hemd. Es war nur ein Pilger, der mich lange ansah und dann ging, weil ihn meine Gegenwart störte. Vielleicht wartete er auf dasselbe wie ich - auf einen Engel -, und beide stellten wir fest, daß der andere nur ein Mensch war. Auf dem Weg der gewöhnlichen Menschen.
Obwohl ich beten wollte, brachte ich kein Wort über die Lippen. Lange stand ich vor dem Kreuz und blickte auf die Berge und die Wolken, die Himmel und Erde bedeckten und nur die höchsten Gipfel freigaben. Einige hundert Meter unter mir lag ein Weiler mit fünfzehn Häusern und einer kleinen erleuchteten Kirche. Jetzt wußte ich wenigstens,

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