Auf dem Jakobsweg
meinen Rucksack und meine Bermudas naß.
»Kommen Sie, kommen Sie schon«, insistierte sie. Da fielen mir die Worte aus einem der Briefe des Apostels Paulus wieder ein, die Petrus ständig zitiert hatte: »Der da pflügt, soll auf Hoffnung pflügen; und der da drischt, soll auf Hoffnung dreschen, daß er seiner Hoffnung teilhaftig werde.«
Ich mußte nur noch ein wenig durchhalten. Ohne Angst vor einer Niederlage bis zum Ende suchen. Die Hoffnung nicht aufgeben, daß ich mein Schwert finden und sein Geheimnis entschlüsseln würde.
Vielleicht wollte mir dieses Mädchen ja etwas sagen, was ich mich zu verstehen weigerte. Warum sollte sich mein Schwert, wenn das Tor der Vergebung, das sich in einer Kirche befand und dieselbe spirituelle Wirkung hatte wie die Ankunft in Santiago, nicht dort befinden?
»Gut, dann laß uns gehen«, sagte ich zum Mädchen. Ich blickte auf den Berg zurück, den ich gerade heruntergestiegen war. Ich mußte wieder umkehren und ihn noch einmal besteigen. Ich war offenbar an dem Tor der Vergebung achtlos vorbeigegangen, weil mein ganzes Trachten nur darauf gerichtet war, in Santiago anzukommen. Oder aber meine Eile und meine Niedergeschlagenheit hatten mich mein Ziel übersehen lassen. Hier aber war ein Mädchen, das darauf bestand, daß ich umkehrte. Warum hatte es nicht einfach mein Geld genommen und war abgehauen?
Petrus hatte immer gesagt, daß meine Phantasie mit mir durchging. Doch vielleicht war das diesmal nicht der Fall. Während ich dem Mädchen zum Tor der Vergebung folgte, erinnerte ich mich an die Geschichte dieses Portals. Die Kirche hatte eine Art Kompromiß mit den kranken Pilgern geschlossen, denn der Jakobsweg verlief von hier aus über Gebirgszüge nach Santiago. Im 12. Jahrhundert hatte ein Papst Pilgern, die auf dem Jakobsweg erkrankt waren und nicht mehr weiterwandern konnten, eine Art Notlösung zugestanden: Wenn sie das Tor der Vergebung durchschritten, gewährte er ihnen denselben Ablaß wie den anderen Pilgern, die den Weg zu Ende gingen. Mit diesem Trick hatte jener Papst das Problem der Berge aus der Welt geschafft und die Pilgerzüge gefördert. Wir erklommen die gewundenen, rutschigen Wege, über die ich zuvor heruntergekommen war. Das Mädchen lief schnell wie der Blitz voraus, und ich mußte es mehrfach bitten, langsamer zu gehen, was es eine Zeitlang gutwillig tat, bis es sich wieder vergaß und erneut losrannte. Eine halbe Stunde später waren wir am Tor der Vergebung angelangt. »Ich habe den Schlüssel zur Kirche«, sagte das Mädchen. »Ich gehe hinein und schließe Ihnen von innen auf.«
Das Mädchen verschwand durch den Haupteingang, während ich draußen wartete. Es war eine kleine Kapelle, und das Hauptportal an der Nordseite war rundum mit Kammuscheln und Szenen aus dem Leben des heiligen Jacobus geschmückt. Als ich den Schlüssel im Schloß hörte, tauchte plötzlich aus dem Nichts ein riesiger deutscher Schäferhund auf und stellte sich zwischen mich und das Portal.
Mein Körper war sofort kampfbereit. »Schon wieder«, dachte ich bei mir. »Hat diese Geschichte denn kein Ende? Ständig neue Prüfungen, Kämpfe und Demütigungen. Und keine Spur von meinem Schwert.«
Doch da öffnete sich das Tor der Vergebung, und die Kleine erschien. Als sie den Hund sah, dessen Blick sich in meine starren Augen bohrte, sagte sie ein paar zärtliche Worte zu ihm, worauf er sich sofort beruhigte und ihr schwanzwedelnd in die Kirche folgte.
Wahrscheinlich hatte Petrus recht. Meine Phantasie gaukelte mir etwas vor. Ein einfacher deutscher Schäferhund war zu etwas Bedrohlichem, Übernatürlichem geworden. Das war ein schlechtes Omen, ein Anzeichen dafür, daß Erschöpfung zur Niederlage führt.
Doch es gab noch eine Hoffnung, und erwartungsvoll folgte ich dem Mädchen durch das Tor der Vergebung und erwirkte mir somit denselben Ablaß, den die kranken Santiago-Pilger erhalten.
Meine Blicke durchstreiften die karge Kapelle auf der Suche nach dem einzigen Gegenstand, der mich interessierte. »Dort sehen Sie die Kapitelle in Form einer Muschel, dem Symbol des Jakobsweges«, begann das Mädchen in typischem Reiseführerstil. »Dies ist die Santa Agueda aus dem...« Mir wurde bald klar, daß ich den ganzen Weg vergebens zurückgegangen war.
»Und dies ist Jacobus, der Maurentöter, der sein Schwert gezückt hat und unter dessen Pferd die Mauren hegen, die Statue stammt aus dem...«
Da war das Schwert des heiligen Jacobus. Doch nicht meines. Ich wollte dem Mädchen ein paar
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