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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
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erwachte. Vor ihr lag ein Tag voller Arbeit, unglücklicher Liebe, ferner Träume und Rechnungen, die bezahlt werden mußten. Doch weder die Glocke noch die Stadt wußten, daß in jener Nacht ein uraltes Ritual vollzogen worden war und daß das, von dem alle seit Jahrhunderten glaubten, es sei tot, sich immer wieder erneuerte und seine unendliche Macht zeigte.

Cebreiro
    Sind Sie Pilger?« fragte ein kleines Mädchen, das die einzige lebende Seele an diesem glühendheißen Nachmittag in Villafranca del Bierzo zu sein schien.
Die Kleine mochte etwa acht Jahre alt sein, sie war in ihren ärmlichen Kleidern zu mir an den Brunnen gekommen, an dem ich mich etwas ausruhte.
Meine einzige Sorge war, so schnell wie möglich nach Santiago de Compostela zu gelangen und dieses verrückte Abenteuer zu beenden. Mich verfolgten Petrus' traurige Stimme auf dem Bahnhof und sein abwesender Blick, mit dem er mir beim Ritual der >Tradition< in die Augen gesehen hatte - als wären all seine Bemühungen, mir zu helfen, umsonst gewesen. Sicher hätte es Petrus gern gesehen, wenn statt des Australiers ich zum Altar gerufen worden wäre. Mein Schwert konnte durchaus in dieser verlassenen und legendenumwobenen Burg versteckt sein, denn der Ort war genau, was ich suchte: ein verlassener heiliger Ort, nur von wenigen Pilgern besucht, denen er aufgrund der Reliquien des Templerordens heilig war. Nun, da der Australier zum Altar gerufen worden war, fühlte sich Petrus bestimmt vor den anderen gedemütigt, weil er als Führer versagt und mich nicht zu meinem Schwert geführt hatte.
Zudem hatte das Ritual der >Tradition< in mir wieder die Faszination für die Kenntnisse des Okkulten aufleben lassen, die ich auf dem Jakobsweg so konsequent zu vergessen lernte. Die Anrufungen, die Kontrolle über die Materie, die Kommunikation mit anderen Welten, all das war viel interessanter als die Praktiken der R.A.M. Auch wenn möglicherweise gerade sie mein Leben viel direkter beeinflußten: Seit Beginn der Wanderung auf dem Jakobsweg hatte ich mich zweifellos verändert, hatte mit Petrus' Hilfe herausgefunden, daß sie mich in die Lage versetzten, Wasserfalle zu überwinden, Feinde zu besiegen und mit dem Boten über praktische, greifbare Dinge zu reden. Ich hatte das Antlitz meines Todes gesehen und miterlebt, wie die blaue Kugel der alles umfassenden Liebe die ganze Welt umhüllte. Ich war bereit, den guten Kampf zu kämpfen und mein Leben zu einer Kette von Erfolgen zu machen.
Dennoch fühlte ein verborgener Teil meines Seins Sehnsucht nach den magischen Zirkeln, den transzendentalen Formeln, dem Weihrauch und der >heiligen Tinte<. Was Petrus eine >Hommage an die Alten< genannt hatte, war für mich ein nostalgisches Wiedereintauchen in altbekannte Lektionen gewesen, zu denen ich mich weiterhin machtvoll hingezogen fühlte. Und allein die Aussicht, daß mir der Zugang zu dieser Welt künftig versperrt sein könnte, nahm mir den Antrieb weiterzumachen.
Als ich nach dem Ritual der >Tradition< zum Hotel zurückkam, lag neben meinem Schlüssel Der Pilgerführer in meinem Fach, ein Buch, das Petrus immer benutzt hatte, wenn die gelben Markierungen schlecht zu erkennen waren und wenn es darum ging, die Entfernung zwischen zwei Städten abzuschätzen. Ich verließ Ponferrada noch am selben Morgen. Am Nachmittag stellte ich fest, daß die Karte nicht maßstabgetreu war: Ich mußte eine Nacht unter freiem Himmel in einem natürlichen, von einem Felsen gebildeten Unterstand verbringen. Dort überdachte ich noch einmal alles, was seit der Begegnung mit Madame Savin geschehen war, und mir ging Petrus' beharrlicher Versuch nicht aus dem Sinn, mir klarzumachen, daß im Gegensatz zu dem, was man uns immer beigebracht hatte, die Ergebnisse das Wichtigste seien. Sich anstrengen war gesund und unerläßlich, doch die Anstrengung machte ohne Ergebnisse keinen Sinn. Das einzige Ergebnis, das ich von mir und aufgrund all dessen, was geschehen war, erhoffen konnte, war mein Schwert zu finden. Das war bislang nicht geschehen. Und es fehlten nur noch wenige Tage Fußmarsch, bis ich Santiago erreichen würde.
»Wenn Sie ein Pilger sind, kann ich Sie zum Tor der Vergebung führen.« Das Mädchen am Brunnen von Villafranca del Bierzo ließ sich nicht abwimmeln. »Wer durch dieses Tor geht, braucht nicht nach Santiago zu gehen.«
Ich hielt ihr ein paar Peseten hin, damit sie ging und mich in Frieden ließ. Doch das Mädchen begann, mit dem Wasser des Brunnens zu spielen, und machte

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