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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Wind, der die Straße entlangwehte, vom Monument selbst (ein riesiger George Washington auf einem kleinen Baukörper aus Stein; angeblich lässt einen der Wärter, wenn man einen Vierteldollar zahlt, die Wendeltreppe im Inneren des Denkmals hinaufsteigen und aus einer kleinen Tür im Hals George Washingtons über die Stadt blicken) und den vornehmen Häusern und Wohnungen auf dem von Bäumen umsäumten Platz bis zur Eisenbahnlinie, dem Geschäft für gebrauchte Kleider und den Lumpenbergen, auf denen sich die Kinder balgen wie auf einem Heuhaufen in einer goldenen Landschaft, vorbei an den Gefängnissen, den Wahrsagern, den Geschäften für Soul Food, den Läden für Ärztebedarf, dem berühmten Krankenhaus, in dem Brian seine Dyslexieklinik hatte, vorbei an dem reich ausgestatteten Möbelgeschäft, dessen bei den jüngsten Unruhen zerbrochene Schaufenster durch Backsteinmauern ersetzt worden waren – bis auf ein kleines Fenster mit «Er-und-Sie»-Handtüchern und -Kissenbezügen –, vorbei an den Friseuren, dem Perückengeschäft, dem Roxy, dem Stripteaselokal, wo man Pornofilme und eine Stripteasekünstlerin mittleren Alters anschauen konnte, die ihre Brüste tanzen ließ und den Männern in den vorderen Reihen (vorher zwischen ihren Beinen befeuchtete) Spitzentaschentücher zuwarf; vorbei am Markt, an den Bäckereien mit Altbackenem, den Billigläden und Ramschläden, der Heilsarmee, dem Verein der Kriegsveteranen, den Volunteers of America, den Purple Hearts, den Münzwäschereien mit ihrenfünf oder sechs Speed-Princess-Waschmaschinen, die meisten davon außer Betrieb, wo der alte Mann hinging, ohne Schmutzwäsche, einen Vierteldollar zahlte und zusah, wie das Wasser herumwirbelte, während das Programm der Maschine ablief. Um in Gesellschaft zu sein. Der trostlose Wind wehte auf der ganzen Strecke, vorbei an den Schnellwäschereien, den Secondhandläden bis zum Pulaski Highway, immer weiter hinaus bis zu den verseuchten Sümpfen von New Jersey mit ihren toten Sumpfvögeln und nach Gummi und Benzin stinkenden Rauchschwaden.
    Ich eilte durch den Schnee nach Hause. Ich fragte mich, was ich Mrs Tyndall am nächsten Tag erzählen sollte. Und als Brian an diesem Abend von der Arbeit nach Hause kam, sagte ich: «Ich habe mir heute Brother Coleman angehört. Im Roxy. Er sagt, er kann Wunder vollbringen.»
    «Dieser Gauner. Aus Washington haben sie ihn voriges Jahr hinausgeworfen. Behauptete, Tote aufwecken zu können. Nach dem Raubzug diese Woche geht er dann nach Miami, glaube ich.»
    Ich erzählte ihm, dass ich vor dem Theater Leute gesehen hatte, die nicht weiterwussten, weil sie ihm ihr ganzes Geld gegeben hatten, auch ihr Geld für den Bus und fürs Essen.
    «Trotzdem», sagte ich, «es hat ihnen gefallen. In der Hoffnung auf ein Wunder haben sie Armut und Diskriminierung vergessen. Noch dazu war es warm im Theater. Mir hat es gefallen.»
    «Ha», sagte Brian. Er ärgerte sich. Er war im Geiste einer dieser strengen, niemals lächelnden Religionen erzogen worden, die jedes Vergnügen, vor allem wenn es von Lachen begleitet wird, als Sünde betrachten. Er war ein Produkt des «Neuseeländischen Bibelgürtels», wo die Eltern mit gleicherGrausamkeit und Härte von der Bibel und von ihrem Ledergürtel Gebrauch machen.
    Am späteren Abend rief Mrs Tyndalls Tochter an und teilte uns mit, dass ihre Mutter mit einem Schlaganfall in Brians Krankenhaus gebracht worden sei. Brian besuchte sie sofort, und als er zurückkam, war ich noch wach und wartete auf Neuigkeiten. Das Haus schien voller Schuld, die durch die Sauberkeit des nach Reinigungsmitteln riechenden Badezimmers noch verstärkt wurde. Und ich hatte vergessen, auf die magische Zahl im Radio zu warten, und Brother Coleman hatte kein Wunder vollbracht.
    Mrs Tyndall sei sehr krank, sagte Brian. Gelähmt, unfähig zu sprechen, drücke sie eine Tragtasche wie einen Säugling an die Brust und lasse sie nicht los.
    «Ihr Zustand hat sich zwar stabilisiert», sagte er und verwendete plötzlich ein grässliches Fachchinesisch, «aber sie wird auf unbestimmte Zeit hospitalisiert bleiben und mit großer Wahrscheinlichkeit an Herzstillstand oder einer weiteren Hämorrhagie sterben.»
    Seine Redeweise beschämte und deprimierte mich, ebenso wie Mrs Tyndalls «Ich bin sehr, sehr dankbar» oder mein «Sind Sie sich sicher, dass Ihnen dieses Wetter nichts ausmacht?». Doch er bediente sich dieser Redeweise, um sachlich über Mrs Tyndall zu berichten; und weshalb sollte man so

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