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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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viel Erwartung in Wörter setzen?
    Ich muss an dieser Stelle ausrufen, dass Sprache alles ist, was uns für die Genauigkeit und Wahrheit des Erzählens zur Verfügung steht, dass Wörter die einzigen Helden und Heldinnen der Literatur sind. Ihre Großmut und Versöhnlichkeit bringen einen zum Weinen. Sie tolerieren alles und stehen dazu und zeigen keine Anzeichen von Leid. Ohne Schmerzenakzeptieren sie Veränderung; Schmerz empfinden nur jene, die Wörter gebrauchen, indem sie sie wie Bohnen auf einem Feld ausstreuen und darauf hoffen, dass die Bohnenranken über Nacht in den Himmel wachsen und himmlische Aufregung bewirken, dort oben, wo die Riesen wohnen.
    Ich sagte zu Brian nichts über sein Fachchinesisch. Er hatte seine eigenen Gründe für die Verwendung von Wörtern, und wir führten unser Leben getrennt voneinander und warfen uns nur dann und wann einen Blick voll klarer Erkenntnis und dem Eingeständnis unserer Bedeutungs- und Machtlosigkeit und unserer Anhäufung von Selbsttäuschungen und Kompromissen zu, die wir verabscheuten, aber nicht unterlassen konnten. Ich ahnte, dass ihm, als Arzt und Therapeut, mehr Fesseln angelegt waren als mir, die ich das Gefühl hatte, mich auf einer relativ übersichtlichen Ebene zu befinden, jetzt, wo ich allein lebte und augenscheinlich Herrin über jeden meiner Schritte war – außer im Krankheits- und Todesfall und in der Liebe, wo nur die Verluste und Gewinne jene Chemikalien enthalten, die die Erinnerung verwandeln und erstarren lassen und, indem sie «das Licht, das niemals auf Meer oder Land lag», hervorbringen, die Fähigkeit zu staunen verstärken, die – wenn die Wörter stimmen – ein Gedicht erzeugen kann.
    An jenem Abend konnten wir nicht umhin, an die Kranken und Toten zu denken, obwohl wir nicht von ihnen sprachen, und als Brian sich ans Klavier setzte, spielte er zuerst jene Weisen, die Erinnerungen an unsere Kindheit in Neuseeland in sich trugen – «The Stranger of Galilee», «Jerusalem», «The Old Rugged Cross». Normalerweise parodierten wir diese Lieder gern, weil wir daran dachten, wie «schön» jeder sie fand, und während Brian spielte, schnitt er aus Gewohnheit Grimassen, aber er unterließ die lachenden Bemerkungenüber die zart gefüllten Pralinengefühle, die sie (und Kätzchen und Häschen und Rosen) weckten.
    Ich dachte an meine frühe Kindheit im Süden, an die Küche zu Hause, wo der Kohleherd das Zentrum von Wärme, Nahrung und Licht gewesen war, aus dem die gelben Flammen durch das bleibeschichtete schwarze Geflecht der Türen und Klappen leuchteten; mein Vater in seinem Stuhl in der Ecke, wie er die Wochenzeitschrift
Humour
las (es verblüffte mich, dass er mit größtem Ernst ein Buch lesen konnte, das voller Witze war, und nur gelegentlich, wie aus Zorn, ein lautes «Ha Ha!» von sich gab); meine Mutter, ununterbrochen bei der Arbeit, hin und her gehend zwischen Herd und Abwasch und Herd und Tisch; der Rundfunkempfänger, wie wir das Radio nannten, der die beliebtesten Sonntagsmelodien spielte – «Jerusalem», «The Old Rugged Cross», vielleicht auch «Ave Maria», das «leichtere», während Mutter «wie schön» murmelte und Vater sagte «plärrender Sopran». Die warmen, züngelnden Flammen des Herdfeuers, der Geruch der frisch gewaschenen Kleider, die auf dem Messinggestell über dem Herd trockneten, die Stimme aus dem alten Fünf-Röhren-Radio (je weniger Röhren, desto geringer der Status in der statusbewussten Welt unserer Kindheit), das wir «auf Pump» im großen Warenhaus in der Stadt gekauft hatten und das man uns in unser Landstädtchen nachgeschickt hatte, wo wir unsere «Pump»-Möglichkeiten ausgeschöpft hatten; ein braun glänzendes Holzradio mit vielen Knöpfen, grünen und roten Lämpchen und einer Skala in Form eines Zifferblattes mit den internationalen Rundfunkstationen darauf. Das rosige Feuer, die Küchengerüche, die friedliche Stille, die nur durch die Stimme aus dem Stuhl in der Ecke unterbrochen wurde.
    «Der Kohleneimer ist leer …»
    Der Versuch nachzuweisen, dass jemand anderer an der Reihe war, Kohlen zu holen, war nutzlos; und so ging der Angesprochene in einem frostigen, widerwilligen Traumzustand weg vom Herdfeuer, vom Radio, durch die Spülküche (Küchenschabenzone) nach «draußen», dann durch das Waschhaus, vorbei am Klosett zur Kohlenhütte gleich neben dem gähnenden Loch, das «unter das Haus» führte, wo der «Jeweilige», der dran war, in einem Wettlauf gegen die Zeit unter dem

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