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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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freien Zugang zu den Gärten und Hügelstraßen zu gewähren, sodass die Rehe und Eichhörnchen auf der Straße Vorrang hatten.
    «Ja, ein Reh.»
    Ich erklärte, dass in aller Morgenfrühe eine Gruppe von Rehen mit ihren Kitzen vom Grizzly Peak herunterkam, in der Grizzly Peak Road von einem Garten in den anderen wanderte und die Pflanzen abfraß. Mir war klar, dass zu Hause in Neuseeland augenblicklich Gewehre oder Giftköder zur Hand wären, denn das Land ist unser Retter, und wir bestehen darauf, dass an seiner Zerstörung, die wir für unser Recht halten, niemand außer uns beteiligt ist.
    Als wir uns der Grizzly Peak Road näherten, alle Hindernisse des Fernflugverkehrs überwunden und den Vorrat an geläufigen Sätzen erschöpft hatten, sprachen die Prestwicks von den Garretts.
    «Wir waren erst einmal bei ihnen, und sie haben uns voriges Jahr auf dem Weg nach Italien besucht. Sie haben Italien geliebt. Und diesen Sommer wollten wir alle an unseren Büchern arbeiten …»
    «Ihren Büchern?»
    «Ja», sagte Doris. «Roger schreibt ein Buch über die Wüste.»
    «Und Sie?»
    «Na ja …» Sie lächelte schüchtern. «Also …»
    «Hatten die Garretts denn keine Verwandten?»
    «Niemanden», sagte ich. Ich hatte mir angewöhnt, einen bestimmten, wissenden Gesichtsausdruck anzunehmen, wenn ich von ihnen sprach. «Ich habe mir immer gedacht, dass von Leuten, so wie von sperrigen Zahlen, immer irgendein menschlicher Rest bleibt, aber die Garretts waren eine Ausnahme. Kein Übertrag, kein Rest. Sie waren allein.»
    Roger warf mir einen seltsamen Blick zu.
    «Es ist eigentlich schrecklich, dass wir nach ihrem Tod hierherkommen, aber sie haben uns eingeladen. Und wie Doris schon sagte, ich bin mir sicher, es wäre ihr Wunsch gewesen, dass wir kommen.»
    «Gibt es auch noch andere Freunde?», fragte Doris.
    «Die Carltons, Theo und Zita. Ich glaube, Sie haben sie kennengelernt.»
    «Kann sein. Am Flughafen.»
    «Ich habe ein kleines Haus in Erinnerung», sagte Doris. «Ist da Platz genug? Hat es nicht eine ungewöhnliche Form, ungewöhnliche Winkel? Ist es nicht voller Kunstgegenstände und Wandbehänge? Und hängt nicht eine hölzerne Maske von Shakespeare neben der Tür zur Terrasse?»
    Sie errötete, als hätte man denken können, dass sie die Besitztümer überprüfte.
    «Auch ich komme aus Neuseeland, wissen Sie», sagte sie plötzlich. «Von einer Farm, ursprünglich.»
    Wir gelangten zum Haus. Sie sahen zu, wie ich den Wagen unterstellte. Sie stießen Entzückensschreie aus beim Anblick der knospenden Purpurwinden und der Glyzinien, des hübschen Balkons mit Aussicht über die Berkeley Hills, der Redwood-Bäume und des weiß blühenden Baums, auf dem sich, wie ich bereits wusste, zu Mittag immer die Kolibris einstellten, in einem Dunst von schwebender Farbe und Bewegung.
    Sie machten eine Bemerkung über die unpraktische dreieckige Form des Grundstücks. «Städteplaner sind keine Millionäre», sagte Doris, und ich glaubte, darin das typisch Neuseeländische an ihr zu erkennen, denn wo sonst findet sich bei denen, die das Land in Besitz nahmen, eine derartig kritische Beurteilung von Grund und Boden, seiner Form, Farbe, Beschaffenheit, Fruchtbarkeit und eine so außerordentliche Sehnsucht nach einem Stück Land, das flach und leer und rechteckig ist wie ein großes, ungewöhnlich geräumiges Grab? Auch mir hatten das dreieckige Grundstück und der unregelmäßige Grundriss der Zimmer im Haus der Garretts Unbehagen bereitet, denn es war keine Ruhe in den Formen, die sie ausgewählt hatten und die ihnen demnach gefallen haben mussten.
    Ich führte die Prestwicks ins Arbeitszimmer und wartete auf die Carltons, und nachdem schließlich alle vier Gäste eingetroffen waren, sann ich in der Ungestörtheit meines einen Stock tiefer gelegenen Appartements über das Thema Gäste im Haus im Gegensatz zu Gästen im Haus der Literatur nach, und mir fiel ein, dass unsere erste Aufgabe im Nähunterrichtin der Grundschule darin bestanden hatte, ein kleines, hohlgesäumtes Gästehandtuch anzufertigen – ein «guest towel»; ich verstand das Wort falsch und glaubte jahrelang, es sei ein «guess towel», ein «Rate-Handtuch», gewesen.
    «Wir machen ein Rate-Handtuch», sagte ich zu meinen Eltern.
    Die Vorstellung faszinierte mich, weil sie zur rätselhaften, unvorhersehbaren Natur von Gästen und ihrer Beziehung zu Gastgebern passen schien, und lange nach der Richtigstellung dieses Missverständnisses staune ich immer noch über

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