Auf dem Maniototo - Roman
der Wandtafel mit der komprimierten Geschichte der menschlichen Zivilisation zurückschlägt, spinnt sie die schöne Vorstellung weiter, dass das Haus ihnen gehört; dieses Zimmer wäre Theos Arbeitszimmer, sein Schreibtisch stünde dort in der Ecke neben dem Fenster, das ausziehbare Bett wäre eine Liege, und das «große» Schlafzimmer wäre dann ihr Schlafzimmer. Und kein Roger, keine Doris, keine Alice Thumb.
Sie hat Theos Probleme beim Sprechen bemerkt. Er hat kaum etwas gesagt. Er liegt da wie ausgelaugt, mit geschlossenen Augen.
Wieder lacht Zita, obwohl sie nicht der Mensch ist, der Lachen übrig hat, um in unpassenden Augenblicken davon Gebrauch zu machen.
«Jetzt hast du Zeit zum Lesen, Theo. Alle Bücher und Zeitschriften Irvings über Städteplanung.
Der Aufstieg der Stadt. Die ideale Stadt. Partnerstädte.
Und das Modell, du kannst die Modellstadt studieren.»
Er antwortet nicht. Er ist eingeschlafen.
Am späteren Abend informiert Dr. Grant Zita über Theos wahren Zustand. Er erklärt, dass sich eine leichte Durchblutungsstörung ereignet hat, die sowohl sein Sprechvermögen als auch seine Fähigkeit, Wörter für seine Gedanken zu finden, beeinträchtigt hat.
«Wir sehen das als selbstverständlich an. Man denkt einen Gedanken, und ein Wort ist da, ein Satz, eine Definition. Wie wenn man eine Angelschnur auswirft, und jedes Mal beißt ein Fisch an.» (Dr. Grant ist leidenschaftlicher Angler.) «Aber bei einer Durchblutungsstörung ist die Angelschnur ausgeworfen, mit Köder, und die Fische sind da wie immer, aber sie nehmen den Köder nicht mehr oder wissen nicht, dass es ihn gibt; die beiden Welten haben sich voneinander getrennt.»
Dr. Grant verwendet nicht das Wort «Schlaganfall» oder «Gehirnblutung», entfernt Theo so ein wenig vom gefürchteten Bereich der Krankheit und rückt ihn in die Nähe der banalen Tatsache, dass man einen Körper hat, der mit den Besonderheiten seines eigenen Verkehrs, seiner Blutzirkulation, zurechtkommen muss. Eine «leichte Durchblutungsstörung». Zita findet diese Sprache erträglich. Schließlich leben sie und Theo seit fünf Jahren in Kalifornien, und sie weiß, dass in Neuseeland die Bildwelt von Schafen und Rindern beherrscht wird und dass sich Schlagzeilen wie beispielsweise «Hartnäckige Krankheit besiegt», «Pränatale Forschung gewürdigt» eher auf die Tierforschung als auf Menschen beziehen. In Kalifornien dagegen sind es Bilder von Autos, ihrer Marke undBeschaffenheit, von Staus und Stockungen. Doris und Roger staunen über ihre gelassene Feststellung: «Theo hatte eine leichte Durchblutungsstörung.»
Roger, dessen Onkel einen Schlaganfall hatte, sagt: «Kein Grund zur Aufregung. Beim heutigen Stand der Medizin wird er hundert Jahre alt.»
«Wenn wir nur hierbleiben könnten», sagt Zita. «Ihr wisst, uns bleiben nur noch wenige Tage. Theo hätte sich auf der Terrasse auskurieren und den Rehen zusehen können, die in den Garten kommen. Unten in der Shattuck Avenue haben wir nichts dergleichen.»
Sie denkt: Da wir die Garretts kannten und sogar in der gleichen Stadt wohnten, ist es wirklich eine Schande, dass sie ihr Haus nicht uns vererbt haben. Wir würden so gut darauf achtgeben. Ich finde, wir brauchen es. Die Luft hier oben beim Grizzly Peak wäre für Theo besser. Und die Aussicht ist schön. Und wenn man krank ist, möchte man eine schöne Aussicht.
Den ganzen Tag hat keiner Roger nach seinen Erlebnissen in der Wüste gefragt.
Teil fünf
Vermeidung von und eingehende Beschäftigung
mit Andenken und Zufluchtsorten
und das Verwelken einer Zungenblüte
33
Nachdem ich durch das Schreiben über meine Gäste mein abschließendes Zugeständnis an das historische Präsens gemacht hatte, tauchte ich aus meinem Arbeitszimmer auf, als sie gerade Vorbereitungen für ihre Abreise trafen. Theo, der erstaunliche Theo, wie sie ihn nannten, hatte sich so weit erholt, dass man von ihm – und auf seine Anregung hin – sagte, er sei wieder «ganz der Alte», wenn auch klar war, dass seine Wortwahl nun begrenzt war und er eher Definitionen als Bezeichnungen verwendete und Handlungen eher beschrieb, als sie beim Namen zu nennen. Er hatte viel von der Macht des Benennens verloren – der Macht Gottes und der Dichter. Roger, der Zeit gehabt hatte, den anderen von seinen Stunden in der Wüste zu erzählen und so das Gleichgewicht der Beachtung wiederherzustellen, hatte brüderliche Freundschaft mit Theo geschlossen, während Doris und Zita, die nicht
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