Auf dem Maniototo - Roman
ganz emanzipierte Frauen waren, sich gemeinsam im Umfeld der Stadt des Leidens niedergelassen hatten, der Theo und Roger sich zuwandten, von den hellen Lichtern geblendet und bereit, für ihre Unterkunft in der Währung von Wüstenausflug und Durchblutungsstörung zu bezahlen. Theo unternahm nun nur noch selten die Anstrengung zu sprechen. Der Schmerz über den Verlust der Macht des Benennens stand ihm ins Gesicht geschrieben, und allein Roger schien Theos Erfahrung als eine Variante einer Reise in die Wüste akzeptieren zu können. Wenn Doris mit Theo sprach, erhob sie nun ihre Stimme, als wäre er taub, und selbst Roger setzte seit Kurzem lebhafte Gesten ein, als ob Theo nicht verstünde, was man zuihm sagte. Und manchmal antwortete Theo auch mit Gesten, in einer Art Zeichensprache, und verstärkte so noch den Eindruck, dass er kaum noch durch Wörter zu erreichen war. Zita sprach besonders sanft mit ihm, ohne ersichtlichen Grund, außer vielleicht in der Hoffnung, dass ihre Wörter, wie sanftes Regengeflüster, durch seine Haut aufgesogen würden und ihn so mit der verlorenen Sprache versorgten.
Zu meinen Gästen zurückgekehrt, benutzte ich mit ihnen gemeinsam die Einrichtungen des Hauses und sah mich erneut beunruhigt durch seine seltsame Form, die rhombenförmigen Zimmer, das schmäler werdende Rechteck des Badezimmers, die schräge Wand im Zimmer der Prestwicks – obwohl ich glaube, dass es weniger die unregelmäßigen Winkel waren, die mich störten, als der Gedanke, dass das Haus nach modernen Ideen gebaut worden war: warum in Schachteln leben wie gefangene Käfer, warum nicht in nichtquadratischen, nichtrechteckigen Räumen; warum den offenen Kamin in Fußbodenhöhe haben, warum ihn nicht bis auf Tischhöhe anheben (dies war der Grund für den erhöhten Kamin im Wohnzimmer sowie für den «versenkten» Garten in der Diele). Das Haus besaß den Zauber der Originalität und der Überzeugtheit seiner Besitzer, aber ich fühlte mich trotzdem nicht wohl darin. Ich war nicht imstande gewesen, an meinem Roman über die Familie Brunnenkresse und Margaret Rose Hurndell zu arbeiten. Ich war gezwungen gewesen, mich auf meine vier Gäste zu konzentrieren. Mir war nicht einmal die Genugtuung vergönnt gewesen, Brian anzurufen und ihm die Neuigkeit von meiner Erbschaft mitzuteilen; er war offenbar immer noch in Europa, und obwohl er mir für gewöhnlich eine Ansichtskarte oder einen Brief auf Hotelpapier schrieb, hatte ich nichts von ihm gehört. Bald jedoch, inwenigen Tagen, würde ich nach Baltimore zurückfliegen und dann nach Neuseeland.
Ich hatte mir genug über das winzige Appartement der Carltons in der Shattuck Avenue und über die Unmöglichkeit anhören müssen, eine neue, passende Wohnung zu finden, und früher wäre ich vielleicht der Ansicht gewesen, dass es «ihre eigene Schuld» war, wenn sie keine Wohnung hatten; aber Theos Gesundheitszustand, der mich an den meines ersten Ehemannes Lewis Barwell erinnerte, weckte mein Mitleid, und ich dachte: Warum soll ich ihnen nicht das Haus der Garretts schenken, warum soll Theo nicht die Möglichkeit haben, in einer namenlosen Straße unter einem namenlosen Berg zu wohnen und über die namenlose Stadt und die namenlose Bucht zu blicken? Ich wollte das Haus mit allem, was dazugehörte, liebend gern haben, so wie jemand vielleicht zwei Mäntel haben möchte, «für den Notfall», oder drei Mäntel oder Stereoanlagen oder Fernsehgeräte oder Sparbücher oder Berufe oder Lebenspartner. Es gibt Menschen, die ganz im Hinblick auf den «Notfall» leben, in Erwartung der Katastrophe, und die das materielle Rüstzeug brauchen, ihr entgegenzutreten; sie sind jenen verwandt, die ganz in der Einbildung leben, mehrere Wahlmöglichkeiten zu haben, und sich davon Glück und Zufriedenheit versprechen. Ich gehöre weder zu den einen noch zu den anderen. Auch wollte ich mein Haus in Stratford, Taranaki, Neuseeland, nicht aufgeben, einer kleinen, lauten Stadt mit dem obligaten Rosengarten, dem Uhrturm und dem Pfadfinderheim; und den Straßen, die nach Shakespeare-Figuren benannt sind. Ich hoffe immer noch,in dieser Stadt mit ihren rasenmähenden, motorsägenden, hämmernden, plattenspielenden, autoreparierenden Bürgern Ruhe zum Schreiben zu finden. Ich habe immer noch Vertrauen in diese Stadt, weil sie einen Fluss hat und Namen aus Shakespeare-Stücken …
Ich beschloss, das Haus den Carltons zu schenken.
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Am Tag bevor die Gäste abreisen sollten, wachte ich in aller Frühe
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