Auf dem Rücken des Tigers
so wenig Scheu, ihren Körper zu zeigen, wie Christian Hemmung, ihn zu betrachten. Ein junger zärtlicher Körper, der leugnen wollte, wie anschmiegsam er war.
Es dämmerte ihm, daß seine Begleiterin womöglich mehr einer Wahlverwandtschaft entspräche als einer Bettgemeinschaft, aber jetzt begann ihr Körper seine Sinne zu entzünden. So verbraucht er war, erwies er sich doch nicht als zu alt und zu krank, sich nicht noch den einen oder anderen Bravourakt abzugewinnen. Von der Erektion gesteuerte Visionen machten ihn plump und albern:
»Weißt du was?« Seine Hand fuhr ihren Rücken entlang; er zog Jutta an sich. »Wir reden zu viel und pimpern zu wenig.«
»Laß mal«, entgegnete sie und stand auf.
»Das Bad ist links«, sagte Christian.
Sie ging mit federnden Schritten. Er sah ihr nach und versuchte sich dabei wieder zu erinnern, wo er das Mädchen aufgelesen haben mochte. Er kam nicht weit. Sowie er an gestern dachte, setzte die Musik wieder ein und verwandelte den Trigeminusnerv in ein dreifach verstärktes Schlagzeug.
Der Lärm rauschte in den Ohren; es half ihm nichts, daß er seinen Kopf im Kissen vergrub. Schließlich merkte er aber, daß es gar nicht die Erinnerung war die in seinem Gehör wütete, sondern ein Besucher ungeduldig klingelte.
Christian warf sich einen Bademantel über, ging gereizt auf die Türe zu, öffnete sie einen Spalt.
»Erik?« sagte er benommen. »Komm herein, Bruderherz«, setzte er hinzu und trat zur Seite.
Für einen Spitzenmanager der deutschen Industrie zeigte Erik, wie Christian wußte, einige durchaus untypische Eigenschaften: Zum Beispiel versagte er sich, in das Privatleben anderer einzudringen. Deshalb fragte der Überrumpelte sich, warum der Bruder sich jetzt so lautstark Einlaß in die kleine Dachwohnung erzwungen hatte.
Es war für Erik, der sich auf Geschäftsreise in München befand, nicht allzu schwer gewesen, der Fährte seines Bruders zu folgen: drei, vier Bars und eine Handvoll Trinkgeld. Nun stand er ihm gegenüber und kam sich vor wie ein Schweißhund, der das angeschossene Tier aus seinem Versteck zerrt.
»Tag, Christian«, sagte Erik und lächelte: »Immer noch der tolle Bamberg.«
Christian hatte Erik ein paar Monate nicht gesehen, aber Leute wie sein Bruder ändern sich kaum. Er war groß, schlank, ein aristokratisches Gesicht, Erbteil seiner Mutter, einer schwedischen Aristokratin. Selbst abgesessen wirkte er noch wie ein Herrenreiter.
Christian unterließ die Floskeln üblicher Konvention, fragte aber schließlich doch, ob er etwas für Erik tun könne.
»Oh, ja«, entgegnete der Bruder. »Eine Tasse Kaffee.« Ohne Spott und ohne Vorwurf setzte er hinzu: »Und vielleicht einen Stuhl.«
Christian nahm die weiblichen Dessous vom Sessel und warf sie auf das Bett. Ihre Trägerin duschte sich nebenan. Man hörte, wie sich die bloße Haut dem Strahl entgegenstreckte.
»Besuch?« fragte Erik.
»Zufällig«, erwiderte ihm Christian. »Bleibst du länger?«
»Muß heute abend schon wieder in Frankfurt sein«, antwortete der Besucher und betrachtete den Mansardenraum. Er glich den pittoresken Bildern, an die sich Erik bei Christian hatte gewöhnen können oder müssen oder dürfen. Christian pflegte sich in Schlupfwinkel zurückzuziehen, wie sich alternde Elefantenbullen von der Herde absondern.
Diese Domizile glichen einander. Sie waren klein, ziemlich unbequem und sehr unordentlich. Viele Bücher, viele Flaschen – die Flaschen meistens leer, die Bücher fast immer gelesen. Christian konnte beides nicht lassen: nicht das Trinken, nicht das Lesen. Doch leichter hätte er sich der Alkoholiker-Fürsorge ausgeliefert, als zuzugeben, wie sehr ihn die Dinge der Welt noch interessierten.
»Und Aglaia geht es gut?« Christian wollte den seltsamen Namen seiner Schwägerin ohne Präpotenz aussprechen, aber seine Zunge skandierte die Silben.
»Ich kann dich nicht von ihr grüßen«, antwortete Erik. »Sie weiß nicht, daß ich dich treffe.«
»Und du meinst«, fragte Christian, »es gibt etwas, das deine Frau nicht weiß?«
»Allerdings«, erwiderte der Besucher. Die Wendung, die das Gespräch nahm, mißfiel ihm. Er war aus einem ganz anderen Grund gekommen, als über Aglaia zu sprechen.
»Wie stehst du zur Zeit mit ihr?« fragte Christian. Er erhielt keine Antwort und provozierte: »Und wie stehst du eigentlich zu mir?«
»Christian«, entgegnete Erik, »bitte …«
»Das ist keine Antwort.«
Früher einmal hätte Christian nicht über seine
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