Auf dem Rücken des Tigers
in ihren Augen, auf ihrem Mund die Aufforderung, spürte den Schweiß in seinen Händen, spürte den Trieb unter seinem Rumpf. »… und wenn alle Möglichkeiten, alle Narreteien des Konsums erschöpft sind, dann kommt Krieg, und der Chemietrust, zum Beispiel, verdient weit mehr am Napalm als an …«
Aglaia schüttelte den Kopf und legte lächelnd ihre Hand auf seinen Arm: »Sebastian«, sagte sie, »du bist gescheit und dumm zugleich. Was du alles weißt und was alles …«
Sie merkte, daß sie mit ihrer Berührung bei Sebastian eine Explosion ausgelöst hatte. Sein Gesicht zuckte. In Schmerz und in Wonne. In Haß und Verachtung.
Aglaia, die neben ihm lag, unschuldig, unverfänglich, erlebte die tobenden Zuckungen in seinem Gesicht mit, nahm die detonierende Pollution wie eine Huldigung. Es war ihr, als hätte sie Sebastian versehentlich verführt und dabei zufällig erfahren, wie reizvoll es sein müßte, es absichtlich zu tun.
Der Junge stand auf.
»Entschuldigung«, sagte er, zwecklos verbergend, wofür er sich eigentlich entschuldigen wollte. Während er mit verstörtem Gesicht den Rückzug antrat, nahm sich Aglaia vor, ihn bei Gelegenheit zu versuchen und ihn zu verführen.
Sie war seine Tante, aber es würde kein Inzest sein, und so es einer wäre, erhöhte es nur den Reiz. Sie hielt es auch nicht für Schande, denn sie hatte ihre Gründe.
Er hörte träge Tropfen auf das Dach klatschen und steckte das Gesicht tief in das Kissen, um es zu schützen. Er schloß die Augen und wunderte sich, daß er nicht naß wurde. Jetzt verspürte er Schmerzen am Hinterkopf und schmeckte fauligen Geschmack im Mund. Er zögerte wie jeden Mittag das völlige Erwachen hinaus. Seine Sinne standen auf der Stelle, steckengeblieben wie in einem verschmutzten Sieb.
Verdrossen setzte er sich im Bett auf.
Erst jetzt merkte er, daß er nicht allein war.
Überraschende Gesellschaft beim unfrohen Erwachen war für Christian, den Außenseiter des Schindewolff-Clans, nicht selten. Häufig waren bei ihm mehr oder weniger angenehme Begleiterinnen zurückgeblieben wie abgerissene Eintrittskarten nach dem Kinobesuch.
Er betrachtete die Unbekannte mit stumpfem Interesse. Sie war jung, blond und dreist, eine dieser grausamen Generation, vor der man sich fürchten müßte, falls man sich nicht selbst abseits gestellt hätte.
Christian hatte nichts gegen eine Jugend zwischen Beat und Bett, wenngleich er sich im Vergleich zu ihr wie ein alter Mann vorkam. Im übrigen war er weder Vater noch Erzieher. Die Frage war auch vielmehr, ob er heute nacht der Liebhaber dieses Mädchens gewesen war.
Christian trat an das Fenster der Mansardenstube, riß die Gardine auseinander. Das Licht überfiel ihn, er wich wie angeschossen zurück und starrte mit dem gequälten Blick des Verwundeten nach oben.
Allmählich begriff er, daß es nicht regnete.
Die Sonne lauerte hinter aufgelockertem Gewölk wie eine fette Wanze hinter zerschlissener Tapete. Christian haßte blutsaugendes Ungeziefer. Die Krankengeschichte seines Lebens hatte aus unzähligen Wanzenstichen bestanden. Während er wahrnahm, daß sich die Sonne durchkämpfte, vermeinte er zu spüren, wie sie ihren gierigen Rüssel an seine Haut setzte.
Er flüchtete in den Raum zurück, ging an den Kühlschrank, nahm die Steinhägerflasche aus dem Fach, setzte sie an den Mund, trank langsam, in großen Schlucken; er stellte die Flasche wieder ab.
Christian betrachtete verwundert eine Unzahl Gläser, die umgekippt im Ausguß standen. Während er sich zu erinnern versuchte, welche Orgie er in der vergangenen Nacht inszeniert haben mochte, kostete er einen an Bittermandel erinnernden Geschmack im Mund: Blausäure, Zyankali, vergällten Whisky – den Tod on the rocks.
Aber er lebte noch und merkte es an seinem Erschrecken. Doch solange keine Toten in seiner Wohnung herumlagen, konnte auch keiner der Zufallsgäste versehentlich das Glas genommen haben, das er sich als sein letztes im Leben präpariert hatte.
Während Christian versuchte, die Erinnerung zusammenzusetzen wie Papierschnipsel, erlangte er keine Gewißheit, ob er beim Versuch, sich zu töten, gestört worden war oder ob er nur einen seiner exzentrischen Alpträume erlebt hatte.
Es stand schlecht um ihn, und er griff nach der Steinhägerflasche, als wolle er das Übel mit Stumpf und Stiel ausreißen. Er trank saubere, klare Flüssigkeit ohne Additiv. Und er trank zügig.
Die Kopfschmerzen wurden schwächer, wattiert vom Alkohol.
Mit
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