Auf dem Rücken des Tigers
Frage kam rasch wie ein Pfeil: »Stimmt's?«
»Ja«, antwortete Erik.
»Ohne deine Zustimmung?«
»Ohne mein Wissen.«
»Warum?«
»Sie begründete es mit Geschäftsräson.«
»Womit sie eigentlich ganz recht hätte«, versetzte Christian.
»Wenn ich zur Sentimentalität neigen würde«, sagte Erik, als schämte er sich der Worte, »würde ich sagen, daß du mir mehr bedeutest – als der Konzern.« Hastig und barsch setzte er hinzu: »Also, ich brauche dich. Investitionsentscheidungen – Verlängerung der Vollmachten – und …«
»Du kannst meine Unterschrift haben«, entgegnete Christian. Er sprach so schnell, als sollten die Worte die Gedanken überholen. Überrunden wollte er auch sein Mißtrauen gegen Erik. Er hing nicht am Besitz und tat eigentlich alles, um ihn zu verschleudern; aber er hing an seinem Bruder, und ihn wollte er in einem Leben, dessen Tage ohnedies gezählt zu sein schienen – so oder so –, nicht auch noch verlieren.
Als Christian sein Bewußtsein sezierte, merkte er verwundert, daß er seit langem wieder einmal in die Kardinaltugend seines früheren Berufs zurückgefallen war: Er konnte analysieren. Sein Leben hatte ihn gezwungen, dreimal den Namen zu ändern, obwohl er weder ein Verschwörer noch ein Verbrecher war, und bei jedem Namenswechsel hatte sich seine Persönlichkeit gehäutet.
Als Christian Wall war er ebenso in aller Welt zu Hause gewesen, wie ihn alle Welt unter diesem Namen gekannt hatte: als ständigen Mitarbeiter berühmter Zeitschriften und als leidenschaftlichen Augenzeugen der Zeit, der mit der gleichen überzeugendenVerve über ihren Glanz und über ihren Wahn berichtete wie über ihre Verwirrungen und über ihre Fortschritte. Er hatte über eine Lesergemeinde von Millionen verfügt, verteilt auf viele westliche Länder, und mitunter waren seine Berichte sogar durch den Eisernen Vorhang geschlüpft.
Seine persönliche Hausmacht hatte ihm bei Stellen freien Zutritt verschafft, in deren Vorzimmern seine Kollegen verwelkten. Er war im Vatikan vom Papst in Audienz empfangen worden, und selbst im Kreml hatte man ihn nach einiger Zeit vorgelassen; sowohl der römische Papst wie der rote Zar hatten Christian mit einem betont herzlichen Händedruck begrüßt, obgleich er weder Katholik noch Kommunist war. »Hörst du mir überhaupt zu?« fragte Erik. »Also: Es geht nicht anders, du mußt schon für ein, zwei Tage nach Frankfurt kommen, und …« Er brach ab, als müßte er die Begründung erst noch suchen. Aber Jutta kam Erik vor wie ein erfahrener Fischer, der im fremden Gewässer überlegt, welcher Köder richtig sei. »Du kannst es übrigens gleich mit Aglaias Kulturrummel verbinden, falls dich so etwas interessieren sollte.«
»Wieso?« fragte Christian, nach dem Köder schnappend.
»Nächsten Dienstag«, antwortete Erik. »Ich kann dir einen Wagen schicken.«
»Was für ein Kulturrummel?« fragte Christian.
»Ja – eine ihrer berühmten Veranstaltungen.« Erik radierte den Spott, der über sein Gesicht gezogen war, gleich wieder weg.
Christian schwieg. Jutta sah, daß er zuschnappte:
»Und da willst du mich einladen?« fragte er. »Ausgerechnet mich?«
»Was heißt dich?« drillte Erik den Fisch. »Euch beide.« Er sah Jutta voll an. »Würden Sie mir die Freude …«
»Bestimmt nicht«, entgegnete sie.
Sie warteten vor dem Lokal auf ein Taxi, das Erik zum Flugplatz schaffte. Er flog seine eigene Maschine. Das Privatflugzeug war weniger ein kommerzielles Muß als ein Rest Wikinger, den sich Erik erhalten hatte.
Die ungleichen Brüder verabschiedeten sich zu beiläufig, um vor Jutta verbergen zu können, wie schwer es ihnen fiel. Sie reichten sich die Hände und sahen dabei aneinander vorbei. Erik kämpfte mit ungesagten Worten; Christian schluckte stumm.
»Hast du noch Zeit?« fragte Christian das Mädchen, als sie wieder allein waren.
»Wenn ich will.«
»Willst du?«
»Unter Umständen«, entgegnete Jutta. »Oder genauer gesagt: wenn du wenigstens zwei Stunden lang nicht trinkst.«
»Hat Erik dich eingespannt in seinen Blau-Kreuz-Feldzug?« Er wollte lächeln. Es reichte nur zu einer Grimasse. Von den Augen weg strebten die Falten wie die Fäden einer Spinnwebe. »Sollst du mich nach Starnberg bringen ins Sanatorium?«
Jutta schwieg beredt.
»Also, ja?« vergewisserte er sich. Auf einmal hatte Christian wieder den Eindruck, ein Netz würde über ihn geworfen, man verfolge ihn: Aglaias Anschlag unter Eriks Duldung. Er überlegte,
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