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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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was sie ihm anhaben könnten, ob es nur um Geld oder auch um die Freiheit ging.
    Christian wehrte sich gegen verschwommene Phobien. Sein Instinkt mußte längst verkümmert sein, ertränkt im Alkohol. Aber er sagte sich, daß er nicht nur einen Arzt, sondern sicher auch einen Anwalt nötig haben würde.
    Während er Vorsätze faßte, um sie zu verwerfen, sah Christian selbst in seiner Begleiterin Aglaias trojanisches Pferd. Er konnte nicht sagen, wo er Jutta kennengelernt hatte. Wenn jemand eine Späherin an ihn heranbringen wollte, war das einfach: In ganz Schwabing galt sein Bett als stadtoffen und gastfrei.
    »Machst du da mit?« fragte er Jutta.
    »Bei was?«
    »Bei dem Komplott, mich hinter Mauern – oder hinter Gitter zu bringen?«
    »Quatsch«, erwiderte sie und tippte sich an die Stirn. »Die armen, kleinen, toten Zellen …«
    »Aber über Starnberg habt ihr gesprochen?«
    »Ja.«
    »Wie willst du das schaffen?« fragte er.
    »Ach, eine Frau hat da diverse Möglichkeiten«, entgegnete Jutta.
    Um diese Zeit war Christian sonst nie unterwegs. Das Tageslicht irritierte ihn. Die Dunkelheit war der Stock, auf den gestützt er sich sicher fühlte. Ein Flüchtling des Tages. Ein Wanderer der Nacht. Jetzt ging er unsicher, nicht, weil er angetrunken, sondern weil er geblendet war. Die Passanten wurden zu seinen Verfolgern. Er lehnte sich an Jutta an, als suche er Schutz. Sie turnten um gestaute Autos herum, liefen Slalom um Kinderwagen, vorbei an Karren, Fahrrädern, Fußgängern, Straßenbahnen, Lastautos.
    Das Mädchen zog den Mann hinter sich her, mitten durch das Gewühl, wie eine Kidnapperin, quer durch die Straßen unter einem diffusen Licht, das in die Augen stach.
    Christian lief und lief, widerstandslos, entmündigt von einer ziehenden Hand. Juttas lange Mähne flatterte wie eine Fahne voran, auf die er eingeschworen wurde: ein notorischer Fahnenflüchtiger – auf die Flagge der Kapitulation.
    Geräusche folterten, Gerüche narrten ihn. Sie standen vor einem Platz, um den die Autos in einer Richtung herumfuhren, und für Christian bewegten sich nicht die Autos, sondern der Platz. Er drehte sich wie ein Karussell, laut, schnell. Die Zentrifugalkraft wollte ihn den blechernen Ungeheuern vorwerfen.
    Er wich zurück; dabei bemerkte er erst, daß ihn der Gehsteig schützte.
    Jutta zog ihn weiter. Er hielt ihre Hand wie einen Rettungsring. Er spürte wieder Grund unter den Beinen.
    Unvermittelt blieb das Mädchen stehen und drehte sich unwillig um. Christian folgte ihrem Blick.
    Hinter ihm stand der Mann mit der Schirmmütze.
    »Was ist?« fragte er benommen.
    »Kennst du den Burschen?« fragte Jutta. »Der läuft schon die ganze Zeit hinter uns her.«
    »Bist du sicher?«
    Ängstlich erfaßte Christian die Erleichterung. Wenn Jutta ihn auch sah, dann war er kein Gespenst, keine Halluzination, keine Ausgeburt des Alkohols. Wenn er noch die Wirklichkeit von der Einbildung zu unterscheiden vermochte, stand es um ihn noch nicht so schlecht, daß er Zyankali schlucken müßte.
    Der Verfolger merkte, daß man auf ihn aufmerksam geworden war. Eilig verschwand er im Gewühl.
    Jutta und Christian gingen weiter. Die Flucht endete auf einer Anlagenbank des Englischen Gartens. Christian atmete schwer. Allmählich beruhigte er sich und erfreute sich des Mädchens an seiner Seite.
    Er wollte und konnte Jutta nicht mehr wegschicken. Zumindest bei Tageslicht war er auf sie angewiesen wie auf einen Blindenhund.
    Christian betrachtete den Park mit dem kurzgeschorenen Rasen, mit seiner Stille, mit seinen Bäumen und Sandwegen.
    Er wähnte sich am Friedhof – auf dem er heute läge, wenn ihn nicht ein Zufall gerettet hätte.
    Eigentlich war es ein ziemlich belangloses Ereignis, doch verwirrte es die Gesellschaft mehr als der Krieg in Vietnam oder das Erdbeben in Sizilien. Zwar gab es in letzter Zeit mancherlei Anzeichen wachsender Verwilderung, doch hätte niemand erwartet, daß ausgerechnet auf dem Galaabend dieser gefeierten Gastgeberin Salon und Straße aufeinanderprallen würden.
    Aglaia Schindewolff-Karlstad hatte seit Tagen alle Vorbereitungen überwacht und sich darum gekümmert, daß die Mitglieder des Werkschutzes maßgeschneiderte Livreen mit weißen Handschuhen und die Beamten des Verfassungsschutzes Gesellschaftskleidung tragen würden.
    Schauplatz geschätzter Gastlichkeit war ein Barockschloß, das dem Schindewolff-Konzern gehörte und schon oft in den Dienst angewandter Kultur zwecks Verbesserung

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