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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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womöglich zu lange aus dem Weg gegangen? Er hat mich schon einmal zur freiwilligen Einweisung in ein Sanatorium überredet. Will Erik mich jetzt zwangsweise einem Irrenhaus überantworten?
    Ist vielleicht mein Vertrauen zu Erik der Höchstwert, der zum Teufel ging?
    Dieses Glas setze ich so abrupt und hart auf den Tisch, daß es zerbricht. Es macht nichts. Es hat seinen Zweck erfüllt. Morgen brauche ich keine Gläser mehr. Und Scherben bringen Glück. Ich möchte Glück mit Erik ins Grab nehmen. Ich möchte nicht glauben, er könnte seiner Frau so verfallen sein, daß er seinen Freund und Bruder jagen läßt.
    Ein paar Sekunden lang überlasse ich mich dem Triumph über Eriks bestürztes Gesicht, wenn er meine Todesnachricht erhält. Dabei überlege ich, wer mich nach dem letzten Glas auffinden wird und wie ich aussehen werde. Zwar ist die Leichenkosmetik schon sehr weit fortgeschritten, aber einen angenehmen Anblick dürfte ein an KCN Gestorbener nicht bieten.
    Es hat keinen Sinn, sich durch ästhetische Erwägungen vom Grundsätzlichen abhalten zu lassen. Schließlich bin ich nicht der einzige, der mit Erfolg die Notbremse zieht.
    Vielleicht gäbe es, kennten sie sich, unter Selbstmördern so etwas wie Kameraderie. Ich lehne es ab, einen Kult daraus zu machen, obwohl dieses verbotene Gesellschaftsspiel weit verbreitet ist. Die Selbstmörder eines Jahres in aller Welt würden eine Stadt wie Stuttgart oder Frankfurt bevölkern. Täglich suchen allein an die 3000 Lebensmüde in der westlichen Hemisphäre den Tod. In Deutschland findet ihn auf diese Weise mindestens in jeder Stunde einer, und das keineswegs nur, um die illustrierte Presse am Leben zu erhalten. In vielen hochmotorisierten Ländern der westlichen Welt gibt es mehr Selbstmorde als Verkehrstote. Unter fünfzig Todesursachen der Statistik rangiert der Freitod an neunter Stelle vor der Tuberkulose.
    Die Lebensmüden sterben verlassen in einem verdunkelten Hotelzimmer oder einsam in der Sitzbadewanne einer Wohnmaschine. Sie stürzen sich demonstrativ von Wolkenkratzern und Brücken oder suchen sich als Schauplatz ihres letzten Aktes abgelegene Waldverstecke aus. Sie sterben am schwarzen Freitag oder am blauen Montag.
    Namenlose und Berühmte, Habenichtse und Millionäre, Analphabeten und Genies, Kinder und Greise, Erfolgsmenschen und Bankrotteure wählen den Tod aus eigener Hand.
    Sie sterben an der Armut oder am Wohlstand, an der Unbesonnenheit der Jugend oder an der Resignation des Alters. Wenn ich mir überlege, wer zu meinen Schicksalsgefährten gehört, stelle ich fest, daß ich eigentlich in der feinsten Gesellschaft enden werde. Sie vergiften sich im Luxusappartement wie das Sexidol Marilyn Monroe; sie schieben sich einen Gewehrlauf in den Mund wie der Nobelpreisträger Hemingway; sie hängen sich am selbstgeknüpften Strick auf wie der Verräter Judas; sie ertränken sich im Wasser wie der Bayernkönig Ludwig II ; sie durchschneiden sich die Kehle wie der Dichter Adalbert Stifter oder sie setzen sich die Giftnatter an den Arm wie die verführerische Kleopatra.
    Ich halte nichts von brutalen Kraftakten, deshalb wählte ich eine unblutig-schmerzlose Methode. Ein Testament hinterlasse ich nicht. Soll mein Vermögen an sich nehmen, wer es erarbeitet hat und etwas damit anzufangen weiß.
    Ich bringe hier lediglich einige Verfügungen über die nächsten Tage zu Papier:
    Ich möchte nicht begraben, sondern verbrannt werden.
    Ich konnte nie in die Flammen sehen, ohne an dieses Ende zu denken.
    Gebt Feuer, also, rufe ich, der Erblasser, meinen Angehörigen zu. Ich sehe, wie meine kranken Organe, Herz, Leber und vielleicht auch das Hirn, eingeschmolzen werden und sich nur die Sargnägel nicht verändern.
    Das bleibt vom Mysterium des Sterbens, auf Flasche gezogen.
    Ich möchte am Rande nur feststellen, daß ich frei bin von jeglicher teutscher Todessehnsucht, auch wenn ich dem normalen Gang der Dinge vorgreife.
    Darauf einen Whisky-Blausäure!
    Wer verfolgt mich? Scheißegal! Vielleicht verfolge ich mich auch nur selbst. Vermutlich ist mein Blick entzündet und mein Gehirn verseucht. Vielleicht habe ich zu lange die Konturen der Wirklichkeit mit Alkohol geschrubbt – Schnaps, Weingeist, Teufelszeug. Alkohol, der brüderliche Tröster, der falsche Riese, der die Gosse zum Bett macht und das Bett zur Gosse.
    Prost, sage ich mir und kippe das nächste Glas. Schnell, in einem Zug. Ich setze es langsam ab, da ich, steht das leere Glas wieder auf dem Tisch,

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