Auf dem spanischen Jakobsweg
Zauberern. An den Tafeln, in Samt und
Brokat und Goldstickerei, bedient von biegsamen und buntbetressten Lakaien,
sitzt die erlauchte Gesellschaft, Adel und Klerus, selbstbewusste Granden und
schöne Edelfrauen, und viele von ihnen aus königlichem Geblüt. Geschliffene
Dialoge, provokante Pointen und geflüsterte Intrigen. Alles ging um Reichtum,
Macht und Herrschaft und doch war auch alles zerbrechlich wie das Eis einer
Frühlingsnacht.
Erbauen
lassen hat diesen Palast zu Beginn des 12. Jahrhunderts ein fähiger und
ehrgeiziger Mann, von dem wir schon gehört haben: Diego Gelmirez. Er war es,
der den zögerlichen Wiederaufbau der von Al Manzur zerstörten Basilika mit
neuer Kraft vorantrieb. Im Jahre 1101 zum Bischof von Santiago ernannt und
später in den Rang eines Erzbischofs erhoben, setzte er seine erstaunlichen
Fähigkeiten noch an vielen anderen Fronten ein, denn mit Kämpfen und
Widerständen war sein Leben reich gesegnet. Nicht umsonst hat er seinen Palast
wie eine Burg bauen lassen, die man notfalls auch verteidigen konnte. Mit
besten Beziehungen zum Königshof von Kastilien, aber auch nach Burgund und,
jedenfalls zeitweise, nach Rom, griff er viele Dinge auf und versuchte sie in
seinem Sinne voranzubringen. Noch lange nicht Bischof, finden wir ihn bereits
an der Seite von König Alfons VI. auf einem Feldzug gegen die Mauren in
Lissabon. Auch er gehörte zu jenen, die die Abwehr gegen die rasenden Wikinger
organisierten. Den gefangen genommenen heidnischen Nordmännern eine Anstellung
beim Kirchenbau zu verschaffen, das war, so nebenbei, wohl auch seine Idee. Der
Bau neuer oder der Wiederaufbau zerstörter Kirchen lag ihm ohnehin am Herzen.
Doch er nahm sich auch die Kirchenzucht vor und griff erfolgreich in
dynastische Nachfolgeprobleme am Könishof ein, um zu verhindern, dass Galicien,
einer Zwangsehe wegen, an Aragon fiel. Vor allem aber gehörte er zu jenen
klaren Köpfen, die die politische Bedeutung des Jakobskultes für die
Wiedereroberung der an die Mauren verlorenen Gebiete frühzeitig erkannt hatte.
Folgerichtig unterstützte er alles, was dieser Bewegung dienlich sein konnte.
So sieht man in ihm wohl zu Recht auch den Initiator des Liber Sancti Jacobi,
dieses Sammelwerkes aus dem 12. Jahrhundert über den Jakobskult, zu dem auch
das fünfte Buch, der uns schon lange bekannte mittelalterliche Pilgerführer,
gehört. Egal, ob ihn nun Aymeric verfasst hat oder ein anderer, den Anstoß hierzu
hat wohl der große Gelmirez gegeben.
Wir sind
gestern Abend, nach dem Besuch des Palastes des Gelmirez und dort vielleicht
angeregt von der Imagination früherer Festtafeln, in ein vornehmes Lokal für
Meeresfrüchte gegangen, der erste Luxus auf unserer Pilgerreise. Doch haben wir
heute Nacht schlecht geschlafen. An der Universität Santiago beginnt das neue
Semester und die Studenten haben das getan, was sie aus solchem Anlass überall
auf der Welt tun, sie haben in der Altstadt laut und fröhlich und bis in die
frühen Morgenstunden hinein gefeiert. Vielleicht wäre unser Schlaf gleichwohl
tiefer ausgefallen, wenn wir gestern Abend etwas mehr Wein getrunken hätten.
Aber das tut man in vornehmen Lokalen nicht, der kostümierte Oberkellner schaut
sonst noch indignierter als es ohnehin seiner Standardmimik entspricht, sobald
er einen von uns Vagabunden ohne Schlips und Kragen in sein Lokal kommen sieht.
Vielleicht hat unser schlechter Schlaf aber auch nur damit etwas zu tun, dass
wir heute endgültig am Ende unserer Pilgerreise angekommen sind.
So lassen
wir uns den ganzen Tag durch die alten Gassen der Jakobsstadt treiben, die ja
auch den Pilgern, die auch uns gehört. Winden uns durch die Markthallen, vorbei
an den Gemüseständen, den mit Fischen, Muscheln und Krebsen übervollen Kästen,
schieben uns durch die bunten Kleiderbuden und beobachten die dicken
Bäuerinnen, die an einer langen Häuserwand lebende Hasen an den Hinterbeinen in
die Luft heben und sie durch diese Tortur zu klagenden Lauten veranlassen.
Natürlich sitzen wir nach der Pilgermesse wieder in der Casa Manolo, beim Wein
und bei den vielen Geschichten. Doch wir bummeln danach auch noch einmal durch
die Rúa del Villar bis zur Plaza del Toral und von dort durch die Rúa Nueva
zurück. Ich weiß nicht, wie oft wir in den vergangenen Tagen durch diese beiden
Gassen, den schönsten von Santiago, gegangen sind und unter den Kolonnaden
einen „café grande“ oder ein Bier getrunken und die Vorbeigehenden beobachtet
haben. Heute sitzen wir
Weitere Kostenlose Bücher