Auf dem spanischen Jakobsweg
ein, nutzt dies die ewig eifersüchtige Sonne, um ihr Licht in
die alten Mauern fluten zu lassen und schnell wieder alles zu trocknen.
Santiago nur in der Sonne? Das wäre eine andere Stadt, wäre eine in Schminke
erstarrte Schönheit, verwechselbar mit anderen Schönheiten, aber ohne diese
geheimnisvolle Erotik eines sich ständig entziehenden, sich immer wieder in
alle Farbtöne auflösenden Charmes.
Auch der
Herradura-Park lebt von dem ewigen Wechselspiel zwischen den beiden Antipoden,
zwischen der Sonne und dem Ozean. So wachsen hier Baumriesen, grüne
Blätterberge in den Himmel, wie ich sie vorher wohl nie gesehen habe. Hier
zeigt das ewig grüne, ewig wuchernde, feuchte und vom Wind des Meeres gezauste
Galicien einmal mehr seine Seele, seine herbe Schönheit und seine sanfte
Schwermut.
Aschenfarben die Wasser, und
die nackten
Bäume und auch die Weiden
aschenfarben,
erdenfarben die Nebel, die sie
umziehen
und die Wolken, die über den
Himmel gehen.
Traurig beherrscht die graue
Farbe die Erde,
Farbe der Alten!
Manchmal hörst du das dumpfe
Geräusch des Regens,
hörst den Wind durch die Wälder
streifen,
hörst ihn heulen und winseln,
als wolle er klagen,
und es sind so tiefe und
schmerzliche Klagen:
so ruft einer nach seinen
Toten.
Mit der Capa aus Binsen
bedeckt, überquert der
Bauer die Weide, und es folgt
ihm der Hirtenhun
zitternd vor Kälte.
Leere und Öde ringsum.
Nur die weiße Möve ruht vom
Fluge
aus in den Lachen, die
schwärzlich glänzen
mitten im starken Grün der
breiten Wiesen,
während die Raben krächzen.
Ich aber höre von meinem
Fenster,
das die zornigen Elemente
peitschen
voller Gedanken und fröhlich
dieses grelle Konzert, das der
Seele so teuer.
Dies sind
Verse von „Saudade“, von heimlicher Trauer, wie sie auch in der Fado-Musik
einer Amália Rodrigues aus dem nahen und seelenverwandten Portugal zum Ausdruck
kommt. Es sind Verse von Galiciens größter Lyrikerin, von Rosalia de Castro,
vor deren Denkmal wir hier im Herradura-Park stehen. Diese milde Traurigkeit
hat viel mit ihrem Land zu tun, aber wohl auch etwas mit Rosalias Schicksal. In
ihrem Taufbuch steht, dass sie, Maria Rosalita Rita, am 22. Februar 1837 in
Santiago de Compostela geboren, aber „von unbekannten Eltern“ sei.
Normalerweise wäre sie ins Waisenhaus gesteckt worden, aber man kannte ihre
Eltern. Die Mutter war ein junges Mädchen aus einem Patrizierhaus und ihr
Vater, José Martinez Viojo, war ein junger Priester. So lag — in der damaligen
Zeit — ein dunkler Schatten über ihrer Geburt. Doch man muss sagen, dass sowohl
ihr Vater wie auch ihre Mutter sich um sie kümmerten, und das weit über den
Rahmen der damaligen gesellschaftlichen Zwänge hinaus. Am 15. Juli 1885 ist sie
mit 48 Jahren gestorben, im gleichen Jahr wie ihr Vater. Aber im Herzen aller
Galicier lebt sie weiter.
Am
Nachmittag steigen wir noch einmal tief in die Geschichte Santiagos und damit
in die Geschichte des Jakobsweges hinunter, in längst versunkene Zeiten, die
uns dort aber noch heute aus alten Steinen entgegenleuchten.
An die
Nordseite der Kathedrale angebaut steht, von außen sehr unscheinbar, der
Palacio de Arcobispo, der Erzbischöfliche Palast, auch Palast des Gelmirez
genannt. Dies ist allein schon deshalb ein ungewöhnliches Gebäude aus der Zeit
der Romanik, weil es sich hierbei um einen Profanbau handelt. Sobald man die
große Eingangshalle dieses Palastes hinter sich hat, wähnt man sich in einem
düsteren Burgverlies, so eng und bedrückend stehen hier die grünbemoosten, hoch
nach oben ragenden dicken Mauern zusammen. Über eine steile Treppe erreicht man
im Zwischenstock zunächst nur kleine Räume, Wirtschaftsräume, vielleicht auch
ehemalige Schlafgemächer. Erst wenn man im Obergeschoss angekommen ist, öffnet
sich die Türe zu einem Festsaal von außergewöhnlicher Harmonie und Schönheit.
Die Gewölbe dieses Saales werden von grazilen Kreuzrippen getragen, die nach
unten in Kapitelle mit Szenen aus dem weltlichen Leben münden.
Welch ein
Raum für festliche Tafeln! Auf schweren Zinnplatten, im flackernden Schein von
Fackeln und Kerzen, mit Kräutern und Gewürzen verziert, türmen sich Wildschwein
und Hirsch, Kalb und Kapaun, Fasan und Rebhuhn, Wildente und Wachtel, Hecht,
Lachs und Hummer. In kostbaren Gefäßen funkelt der rote Wein. Im Hintergrund
erklingt Saitenspiel und auf einem Podium zucken die Grimassen und Gebärden von
Possenreißern, Akrobaten, Gauklern und
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