Auf dem Zeitstrom
hat aber noch mit Hacking gesprochen, sagte, er sei sein Seelenbruder und würde ihm vergeben. Dann sagte er noch, sie würden sich schon irgendwann am Fluß wiedertreffen oder so was. Hacking soll mit den Nerven ziemlich fertig gewesen sein, nach dem, was die Leute reden.«
Sam schluckte auch diese Neuigkeiten, wenngleich es seinem Magen kaum gelang, sie zu verdauen. Ihm war übel. Er konnte sich nicht einmal darüber freuen, daß Hacking am Ende doch noch den größten Betrüger aller Zeiten, John Lackland, hereingelegt hatte. Dennoch mußte er Hackings Weitsicht bewundern. Dem Mann war sofort klar geworden, daß es nur eine Art gab, mit John einen Handel abzuschließen. Er hatte es genau richtig gemacht; aber schließlich verfügte er nicht über Sam Clemens’ empfindliches Gewissen.
Diese Nachrichten veränderten alles. Unter dem Aspekt, daß Iyeyasu sich bereits jetzt schon auf dem Weg nach Parolando befand, konnten sie den Plan, das Dunkel der Nacht auszunutzen, um über die Grenze zu gehen, vergessen: Hackings Leute würden auf alle Fälle wachsam sein.
»Was ist los, Sam?« frage Livy plötzlich. Sie saß in der Nähe und warf ihm einen ratlosen Blick zu.
»Ich glaube, mit uns ist es aus.«
»Oh, Sam!« erwiderte sie. »Wo ist dein Schneid geblieben? Es ist nicht aus mit uns! Wenn die Dinge sich nicht so entwickeln, wie du sie erwartet hast, wirfst du gleich die Flinte ins Korn! Und dabei ist die Möglichkeit, daß wir das Schiff wieder zurückkriegen, nie so groß gewesen wie gerade jetzt! Laß Hacking und Iyeyasu übereinander herfallen! Sie werden sich gegenseitig vernichten, und dann ist der Weg für uns wieder offen. Wir brauchen nichts anderes zu tun, als uns in den Hügeln zu verkriechen und ihnen dann, wenn sie das letzte Todesröcheln von sich geben, an die Kehle zu springen!«
Wütend erwiderte Sam: »Wovon redest du überhaupt? Sollen wir ihnen mit fünfzehn Mann den Garaus machen?«
»Nein, du Dummkopf! Hinter dem Palisadenzaun da hinten warten mindestens fünfhundert Leute darauf, daß sie befreit werden, und Gott allein mag wissen, wie viele von diesen Lagern es in der Umgebung sonst noch gibt! Und was ist mit den Tausenden, die über die Grenze gingen?«
»Und wie soll ich an die herankommen?« fragte Sam aufgebracht. »Es ist zu spät! Ich gehe jede Wette ein, daß der Angriff in ein paar Stunden stattfindet, und du kannst Gift drauf nehmen, daß diejenigen, die entkommen sind, ebenfalls in irgendwelchen Gefangenenlagern sitzen. Ich zweifle nicht daran, daß Publius Crassus und Chernsky mit Hacking unter einer Decke stecken.«
»Du bist immer noch der alte Pessimist, der du auf der Erde warst«, sagte Livy. »Oh, Sam, irgendwie liebe ich dich immer noch, das stimmt. Ich mag dich immer noch als Freund und…«
»Freund!« sagte Sam so laut, daß die anderen erschreckt zusammenzuckten. Cyrano sagte: »Morbleu!«, und Johnston zischte: »Leise, oder willst du die schwarzen Indianer auf uns hetzen?«
»Wir haben uns jahrelang geliebt«, sagte Sam.
»Nicht immer«, sagte Livy. »Aber jetzt ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, über unsere Fehler zu diskutieren. Ich habe jedenfalls keine Lust dazu. Es ist zu spät dafür. Die Frage ist jetzt nur: Willst du dein Schiff zurück oder nicht?«
»Sicher will ich es zurück«, sagte Sam zögernd. »Aber auf was willst du hinaus?«
»Dann heb deinen lahmen Arsch, Sam!«
Aus dem Mund jedes anderen wäre diese Bemerkung nichts Ungewöhnliches gewesen, aber aus dem Mund der akzentuiert sprechenden Livy war sie einfach undenkbar. Aber sie hatte es ausgesprochen, und jetzt, da er darüber nachdachte, fielen ihm Dinge ein, die auf der Erde geschehen waren. Er hatte sie aus seinem Bewußtsein verdrängt…
»Die Lady spricht ein wahres Wort gelassen aus«, murmelte Johns ton mit tiefer Stimme.
Sam hatte eigentlich über weit wichtigere Dinge nachdenken wollen, aber offenbar blieb es seinem Unterbewußtsein überlassen, aus all dem die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zum erstenmal in seinem Leben verstand Sam Clemens mit allen Fasern seines Körpers, daß die Frau, die jetzt vor ihm stand, nichts, aber auch gar nichts mehr mit jener Livy zu tun hatte, die einst seine Frau gewesen war. Sie hatte einen Veränderungsprozeß durchgemacht. Sie war nicht mehr die Livy, die er gekannt hatte, seine Livy. Und das war sie schon lange nicht mehr gewesen, schon nicht mehr auf der Erde, während der letzten Jahres ihres Lebens.
»Was sagst du
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