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Auf dem Zeitstrom

Auf dem Zeitstrom

Titel: Auf dem Zeitstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
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euer tägliches Brot verdienen noch können die meisten von euch behaupten, daß sie hier ein schlechteres Essen erhalten, als sie es auf der Erde bekamen. Aber ich bin zumindest in einem Punkt auf eurer Seite. Es war ein Verbrechen, das größte Verbrechen aller Zeiten, euch wiederzuerwecken. Und deswegen…«
    »Ich will Livy zurück!« schrie Sam. »Und meine Töchter! Solange sie von mir getrennt sind, könnten sie genauso gut tot geblieben sein. Ich wünschte mir wirklich, daß sie tot wären. Zumindest brauchte ich dann nicht ununterbrochen daran zu denken, wie dreckig es ihnen vielleicht in diesem Moment irgendwo auf dieser elenden Welt ergeht! Woher soll ich wissen, daß man sie nicht schon vergewaltigt, zusammengeschlagen oder gefoltert hat? Es gibt so viel Böses auf diesem Planeten! Und das ist kein Wunder, da auf dieser Welt alle Schurken der irdischen Vergangenheit versammelt sind.«
    »Ich könnte Ihnen helfen«, sagte der Ethiker nach einer Pause. »Aber es würde Jahre dauern, bis ich sie finde. Ich kann Ihnen nicht die einzelnen Gründe dafür nennen, weil das zu kompliziert würde – und außerdem muß ich verschwunden sein, bevor der Regen aufhört.«
    Sam stand auf und ging mit ausgestreckten Armen auf den Unbekannten zu.
    Der Ethiker sagte: »Halt! Sie haben mich schon einmal berührt!«
    Sam blieb stehen. »Sie könnten wirklich Livy für mich finden? Und auch meine Mädchen?«
    »Ich werde es tun. Sie haben mein Wort. Nur… nur was, wenn es wirklich Jahre dauert? Stellen Sie sich vor, daß Sie das Schiff bis dahin gebaut haben und sich bereits eine Million Meilen flußaufwärts befinden. Und dann komme ich und sage Ihnen, daß ich Ihre Frau gefunden habe, aber daß sie sich drei Millionen Meilen flußabwärts aufhält? Ich kann Ihnen natürlich sagen, wo sie ist, aber ich könnte sie niemals zu Ihnen bringen. Das müßten Sie schon selber erledigen. Aber wie? Wollen Sie wenden und zwanzig Jahre damit vergeuden, daß Sie wieder flußabwärts fahren? Würde die Mannschaft dabei mitspielen? Ich bezweifle es. Aber selbst wenn es so käme – welche Garantie hätten Sie, daß Ihre Frau sich zwanzig Jahre später immer noch an diesem Ort aufhält? Was, wenn sie inzwischen umgekommen ist und an einer ganz anderen Stelle lebt?«
    »Verdammt noch mal!« heulte Sam.
    »Und außerdem«, erwiderte der andere, »verändern sich die Menschen im Laufe der Zeit natürlich. Sie mögen Ihre Frau ja immer noch lieben, wenn Sie sie finden, aber…«
    »Ich bringe Sie um!« knirschte Sam Clemens. »Oh, helft mir doch…«
    Die Bambusmatte wurde angehoben. Der Fremde war kurz als fledermausartige, mit einem Umhang bekleidete Silhouette erkennbar, dessen Kopf von einer Kapuze verborgen wurde. Sam stand mit geballten Fäusten da und zwang sich förmlich, zu einem unbeweglichen Eisblock zu werden, von dem die Wut allmählich abschmolz. Schließlich begann er knurrend auf und ab zu gehen und warf die angerauchte Zigarre weg. Sie schien plötzlich bitter zu schmecken. Nicht einmal die Luft konnte er länger ertragen.
    »Verflucht sollen sie alle sein! Verflucht soll auch er sein. Ich werde mein Schiff bauen, zum Nordpol hinauffahren und herausfinden, was hier überhaupt vor sich geht! Und dann bringe ich ihn um! Und alle anderen auch!«
    Der Regen hatte jetzt aufgehört. Aus der Ferne drangen Rufe an Sams Ohren. Er ging hinaus, ziemlich aufgeregt, weil er plötzlich damit rechnete, daß man den Fremden geschnappt hatte, obwohl das ziemlich unwahrscheinlich war. Ihm wurde auf einmal klar, daß dieses Schiff unglaublich viel für ihn bedeutete; soviel, daß er um keinen Preis der Welt irgendeine Verzögerung oder Störung des Baus hinzunehmen gewillt war – nicht einmal dann, wenn er dafür die Gelegenheit erhielt, sich auf der Stelle an dem Ethiker zu rächen. Dazu hatte er später noch genügend Zeit.
    Über die Ebene liefen Menschen mit brennenden Fackeln. Als sie näher kamen, erkannte Sam an ihren Gesichtern, daß es sich um mehrere Wachen und Lothar von Richthof en handelte. Zwischen sich hatten sie drei Unbekannte. Sie waren mit Tüchern bekleidet, die von Magnetverschlüssen zusammengehalten wurden, was ihre Figuren formlos erscheinen ließ. Der Kopf des kleinsten der drei Fremden wurde von einer Kapuze verhüllt. Der größte der drei war ein Mann mit einem langen, schmalen, finster blickenden Gesicht und einer großen Hakennase.
    »Sie haben alle Chancen, der zweite im großen Nasenwettbewerb zu werden«,

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