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Auf dem Zeitstrom

Auf dem Zeitstrom

Titel: Auf dem Zeitstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Er wurde 1974 in Syracuse, New York, geboren. Sein Vater war Neger, seine Mutter zu einer Hälfte Irin und zur anderen Irokesin. Er gehörte der Mannschaft an, die die zweite Marslandung vornahm und als erste den Jupiter umkreiste…«
    Sam dachte: Die Menschheit hat es wirklich geschafft! Sie war auf dem Mond und später auf dem Mars gelandet. Und all das hatte weder etwas mit den Visionen Jules Vernes noch mit den bunten Groschenheften um Frank Reade jr. zu tun. All diese Erkenntnisse waren phantastisch, wenn auch nicht phantastischer als die jetzige Welt. Und schwer zu verstehen für einen Mann des neunzehnten Jahrhunderts. Es war geradezu unglaublich.
    »Wir berufen noch heute die Ratsversammlung ein, John«, sagte Sam, »wenn du nichts dagegen hast. Wir werden eine Abstimmung über den Profem-Rat durchführen und schlage dafür Uzziah Cawber vor.«
    »Cawber war einst Sklave, nicht wahr?« fragte Lothar. »Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Hacking sagte, er wolle keine Onkel Toms.«
    Einmal ein Sklave, immer ein Sklave, dachte Sam. Selbst wenn er revoltiert, tötet, getötet wird, weil er sich gegen die Sklaverei erhoben hat – selbst nachdem man ihn hat von den Toten auferstehen lassen, sieht er sich selbst nicht als freier Mann. Geboren und aufgewachsen in einer Welt, die bis zum Halse in ihrer eigenen Schlechtigkeit steckt, ist jeder Gedanke, den er denkt, jeder Schritt, den er tut, von der Sklaverei begleitet, auch wenn sich ihre Formen ändern. Cawber wurde 1841 in Montgomery, Alabama, geboren, man brachte ihm, da er im Haus seines Besitzers als Sekretär dienen sollte, Lesen und Schreiben bei. Er tötete den Sohn seines Herrn im Jahre 1863, entkam, ging nach Westen und arbeitete hauptsächlich als Cowboy und Minenarbeiter. 1876 tötete ihn der Speer eines Sioux-Indianers; der Ex-Sklave fand den Tod durch die Hand eines Mannes, der sich selbst auf dem Weg in die Sklaverei befand. Cawber ist zufrieden mit dieser Welt – oder behauptet es jedenfalls –, da niemand ihn hier versklaven und in dieser Position festhalten kann. Aber er ist der Sklave seines eigenen Bewußtseins und seiner Reaktionen und Nerven. Selbst wenn er jetzt einen aufrechten Gang geht, würde er sich sofort wieder ducken, sobald jemand mit einer Peitsche knallt; und er wird den Kopf beugen, ehe ihm bewußt wird, was er tut…
    Weswegen, oh, weswegen nur hatte man die Menschheit von den Toten wieder auferstehen lassen? Die Verhältnisse auf der Erde hatten sowohl die Männer als auch die Frauen zerbrochen, und auch jetzt würde sich ihnen keine Möglichkeit mehr bieten, dies rückgängig zu machen. Die Angehörigen der Kirche der Zweiten Chance behaupteten hingegen, daß ein Mensch sich verändern könne, und zwar grundlegend. Aber diese Leute waren auch eine Meute von Traumgummikonsumenten.
    »Wenn Hacking Cawber einen Onkel Tom nennt, wird Cawber ihn umbringen«, sagte Sam. »Ich bin immer noch der Ansicht, daß er der geeignete Mann ist.«
    John runzelte die Stirn. Sam war klar, daß er nachdachte. Möglicherweise fragte er sich jetzt, in welcher Form er Cawber benutzen konnte.
    Sam warf einen Blick auf die Wasseruhr. »Es wird Zeit für den Kontrollgang. Kommst du mit, John? Ich bin gleich soweit.« Er nahm wieder Platz und machte einige Eintragungen in sein Tagebuch.
    Dies gab John die Chance, das Haus als erster zu verlassen, wie es sich seiner Meinung nach für einen ehemaligen König von England und eines guten Teils von Frankreich geziemte. Obwohl Sam genau wußte, welcher Unfug es war, sich über derartige Protokollfragen Gedanken zu machen, wurmte es ihn doch, diesem Mann, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte, auch nur den geringsten Sieg zu gönnen. Aber dennoch: Bevor er John seinen winzigen Triumph streitig machte und seine Zeit damit vergeudete, sich auf eine Diskussion einzulassen, gab es Arbeiten zu erledigen, die wichtiger waren.
    Vor dem Eingang der Salpetersäure-Produktionsstätte schloß Sam sich der Gruppe, die auch die sechs Ratsherren umfaßte, an. Der Kontrollgang durch die einzelnen Fabriken war nur kurz. Der Gestank, den die unterschiedlichsten Säuren erzeugten, war so schlimm, daß sogar eine Hyäne gekotzt hätte. Überall roch es durchdringend nach Alkohol, Azeton, Terpentin, Kreosol. In den Eisenhütten fiel der Lärm mit einer solchen Macht über sie her, daß eine Unterhaltung unmöglich wurde. In den Häusern, wo man Magnesium und Kalk produzierte, legte sich eine weiße Schicht über ihre

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