Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Hund gekommen

Auf den Hund gekommen

Titel: Auf den Hund gekommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
streckte zum Gruß einen mageren Arm unter der Decke hervor.
    »Und dies ist Ihr Patient – Hermann«, fuhr sie fort und deutete auf einen kleinen Dackel, der neben dem Bett saß.
    »Hermann?«
    »Ja, wir fanden, der Name paßt zu so einer deutschen Wurst.« Beide lachten.
    »Ein hervorragender Name. Er sieht genau aus wie ein Hermann.«
    Das kleine Tier schaute zu mir auf, mit fröhlichem, einladendem Blick. Ich beugte mich hinunter und strich ihm über den Kopf, und die rosa Zunge schlappte über meine Finger.
    Ich fuhr mit der Hand über sein seidiges Fell. »Er sieht sehr gesund aus. Was fehlt ihm denn?«
    »Ach, eigentlich geht’s ihm gut«, antwortete Mrs. Cundall. »Appetit ist gut und alles, aber seit einer Woche geht er komisch. Hat uns erst nicht so beunruhigt, aber heute ist er einfach hingeplumpst und wollt nicht mehr aufstehen.«
    »Verstehe. Mir ist schon aufgefallen, daß er nicht gerade aufgesprungen ist, als ich ihn streichelte.« Ich schob eine Hand unter den kleinen Hundekörper und stellte ihn vorsichtig auf die Beine. »Na komm, mein Freund«, sagte ich, »los, zeig mir mal, wie du gehen kannst.«
    Auf meine Ermunterung hin tat er ein paar wacklige Schritte, doch sein Hinterteil fing immer stärker an zu schwanken, bis er sich schließlich wieder hinsetzte.
    »Ist der Rücken, stimmt’s?« fragte Mrs. Cundall. »Auf den Vorderbeinen kann er sich halten, nämlich.«
    »Auch mein Problem«, murmelte Ron leise mit heiserer Stimme, doch er lächelte, und seine Frau lachte und tätschelte seinen Arm.
    Ich hob den Hund auf meine Knie. »Ja, die Schwäche sitzt gewiß in der Hinterhand.« Ich fing an, die Lendenwirbel abzutasten, und achtete dabei auf Anzeichen von Schmerzempfindlichkeit.
    »Hat er sich verletzt?« fragte Mrs. Cundall. »Ist er getreten worden? Wir lassen ihn normalerweise nicht raus, aber manchmal schlüpft er durchs Gartentor.«
    »Verletzungen sind nie ausgeschlossen«, sagte ich. »Doch es gibt auch andere Ursachen.« Allerdings – eine Fülle unangenehmer Möglichkeiten. Der Anblick des kleinen Hundes gefiel mir gar nicht. Dieses Syndrom war mir bei der Behandlung von Hunden ganz besonders verhaßt.
    »Sagen Sie uns bitte, was Sie denken«, bat sie.
    »Nun, eine Verletzung könnte für eine Blutung verantwortlich sein oder eine Quetschung oder ein Ödem – eine Geschwulst –, die alle das Rückenmark beeinträchtigen. Es könnte sich sogar um eine Wirbelkörperfraktur handeln, doch das halte ich für unwahrscheinlich.«
    »Und die anderen Ursachen?«
    »Es gibt so viele. Tumore, Knochenabszesse oder eine Bandscheibe, die auf das Rückenmark drückt.«
    »Bandscheibe?«
    »Ja, das sind kleine knorpelige Verbindungen zwischen zwei Wirbeln. Bei Hunden mit so langen Körpern wie Hermann stoßen sie zuweilen in den Wirbelkanal vor. Ich glaube sogar, daß ebendies hier der Fall ist.«
    Rons heisere Stimme ließ sich wieder vom Bett vernehmen. »Und wie stehen die Chancen, Mr. Herriot?«
    Ja, das war die Frage. Vollkommene Genesung oder unheilbare Lähmung. Alles war möglich. »Schwer zu sagen zu diesem Zeitpunkt«, antwortete ich. »Ich gebe ihm eine Spritze und ein paar Tabletten, und dann sehen wir mal, wie er die nächsten Tage darauf anspricht.«
    Ich spritzte ihm ein Analgetikum und einige Antibiotika und zählte ein paar Salicylattabletten ab. Damals hatten wir noch keine Steroide zur Verfügung. Mehr konnte ich nicht tun.
    »Mr. Herriot.« Mrs. Cundall lächelte mich auffordernd an. »Ron trinkt jeden Abend um diese Zeit eine Flasche Bier. Wollen Sie nicht was mittrinken?«
    »Hm... das ist sehr nett von Ihnen, aber ich möchte mich nicht aufdrängen...«
    »Das tun Sie ganz und gar nicht. Wir freuen uns, daß Sie hier sind.«
    Sie schenkte zwei Gläser Ale ein, half ihrem Mann, sich aufzusetzen, und nahm neben dem Bett Platz.
    »Wir sind aus South Yorkshire, Mr. Herriot«, erzählte sie.
    Ich nickte. Mir war ihr Akzent aufgefallen.
    »Ja, wir sind nach Rons Unfall hier hochgekommen, vor acht Jahren.«
    »Unfall?«
    »Bergwerk«, antwortete Ron. »Decke ist eingestürzt. Rücken gebrochen, Leber gerissen und all die inneren Verletzungen, aber zwei Kumpel von mir hat’s bei dem Sturz erwischt, also kann ich von Glück sagen.« Er nippte an seinem Bier. »Hab überlebt, aber der Arzt meint, laufen werd ich nie mehr.«
    »Das tut mir leid.«
    »Nee, nee«, fuhr die heisere Stimme fort. »Man muß immer die positiven Seiten sehen, und ich bin für so vieles dankbar. Hab wenig

Weitere Kostenlose Bücher