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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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mit dem Wasseraufbereitungsgerät zu einem Tümpel gehen, Tee kochen und ein paar Kekse essen. Der Gedanke daran ließ ihn schneller gehen, aber er strauchelte erneut und stürzte. Keuchend und die Augen geschlossen, lag er da und sah die Kekspackung mit dem Drachen vor sich, der den Namen der Herstellerfirma als gewellte Flamme aus dem Maul spie.
    Die restlichen Meter kroch Tobey über den Platz, in den Ohren das Gackern der Hühner, die doch noch gekommen waren, um ihn zu verspotten. Als er sich umdrehte, sah er keine Hühner und fragte sich, ob er allmählich verrückt wurde. Vielleicht hatte es den Affen auch nicht gegeben, dachte er, während er den Oberkörper ins Dämmerlicht des Tunnels schob. Möglicherweise reagierte das Gehirn mit Falschmeldungen auf Dehydrierung und Unterzuckerung, produzierte Bilder und Töne, die es irgendwann abgespeichert hatte. Er versuchte sich daran zu erinnern, wann und bei welcher Gelegenheit er einen Bonobo in blauer Kleidung gesehen hatte, gab es aber bald auf.
    Im Tunnel war es kühl und dunkel. Eine Zeitlang ruhte er sich aus, atmete die modrige Luft ein und hoffte, genug Kraft zu schöpfen, um weiterzugehen. Der Song fiel ihm wieder ein. Wie einfach die Melodie war, dachte er, wie ruhig und beinahe monoton und sich zum Ende hin kaum steigernd, unaufgeregt kreisend und sich selbst tragend wie ein Bussard in der perfekten Thermik eines Sommertages.
     
    Als er aufwachte und spürte, wie die Schmerzen in seinen Körper zurückkehrten, konnte er nicht sagen, ob er ein paar Minuten oder mehrere Stunden geschlafen hatte und wie er in den Schuppen gekommen war. Seine Hände waren noch immer gefesselt. Er konnte sich dunkel daran erinnern, sich mit dem Oberkörper in die Fensteröffnung gebeugt und fallen gelassen zu haben. Dann hatte er sich aufgerappelt und die leere Werkbank und offenen Schranktüren gesehen. Jemand war hier gewesen und hatte seine Sachen genommen, das Wasseraufbereitungsgerät, den Schlafsack, den Kocher, alles. Die beiden Koffer waren weg und mit ihnen Megans Briefe, Kopien nur und dennoch das Wertvollste, was er besaß. Vor Erschöpfung unfähig, die Folgen dieses Verlusts zu begreifen, hatte er sich auf die Werkbank gelegt und war eingeschlafen.
    Jetzt war er halbwegs wach und zwang sich, nachzudenken. Falls er nicht schon zu geschwächt war, würde er es schaffen, den Strick um seine Handgelenke zu durchtrennen. Er wusste, dass ein Mensch zwei bis drei Tage ohne Wasser überleben konnte und dann entweder das Bewusstsein verlor oder so irre wurde, dass er Salzwasser trank und noch schneller starb. Wenn er sich in der Nähe des Strandes und im Schutz eines der großen Felsen ins Gras legen, nichts tun und einfach nur auf die drei Männer warten würde, die versprochen hatten, ihn abzuholen, hätte er vielleicht eine Chance, die Insel lebend zu verlassen, überlegte er, erstaunt, wie ruhig, beinahe gleichmütig er seinen möglichen Tod erwog. Er stellte sich vor, er würde eine Kuhle in den Sand graben und sich mit Gras und Blättern zudecken. Um nicht einzuschlafen und die Ankunft des Bootes zu verpassen, würde er sich an den Inhalt von Megans Briefen erinnern und stumm Songtexte seiner ehemaligen Band rezitieren. Er würde die Sterne zählen, immer wieder von vorne, und sich alle paar Minuten mit einem Dorn in die Haut stechen. Bis das Tuckern des Motors zu hören wäre, würde er sich nicht rühren, verborgen unter dem Gras und den Blättern, versteckt vor dem Kerl, der ihn niedergeschlagen und gefesselt hatte und der vielleicht schon die Insel nach ihm absuchte, um ihn zu töten.
    Er würde die letzte Spur, die zu Megan führte, den letzten Hinweis auf ihr Schicksal verloren geben, um sein Leben zu retten und den Rest davon damit verbringen, sein Scheitern zu bereuen. Die nächsten Jahre würdeer auf einen Brief seiner Schwester warten und irgendwann vergessen, dass er wartete. Eine absurde Behörde würde ihm nach Ablauf einer gesetzlichen Frist ein Formular zur Unterschrift zustellen, mit der er den Tod von Megan O Flynn akzeptierte. Es würde ein Begräbnis geben, und er fragte sich, ob man einen Sarg im Boden versenken würde, und falls ja, ob man etwas in ihn hineinlegte, etwas von Megan, ihre Briefe vielleicht.
    Er musste an die Beerdigung seines Vaters denken. Er, der Pfarrer und der alte, aufgedunsene und mehr tot als lebendig neben dem offenen Grab stehende Feargal Walsh waren die einzigen Menschen auf dem Friedhof gewesen. Nach den Worten des

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