Auf den Inseln des letzten Lichts

wir schließlich fast völlig verstummten, wenn wir uns sahen. Du, so voller Abscheu gegenüber deinem Leben und der Farm und Seamus, so erwartungsvoll und ungeduldig und zugleich schon enttäuscht von deiner Zukunft, die noch nicht einmal begonnen hatte, so naiv und hinterwäldlerisch und tölpelhaft rebellisch, so zerrissen und müde, ein Meister der Wettervorhersage, eine Niete im Spüren menschlicher Gefühlsschwankungen. Ich … Was war ich, Tobey? Die Spinnerin, die mit den Tieren redete, die in Bäumen saß und die Architektur der Blätter bewunderte, die jeden Frosch im Tümpel kannte und keinen ihrer Mitschüler, die nächtelang in Büchern verschwand und tagelang in Zeichnungen, die alles über Feuersalamander wissen wollte und nichts über ihre Mutter? Die den Menschen abhandengekommen, der Welt verlorengegangen war, schweigsam und verstockt, doch in ihren geheimen Heften beredt, voller überwältigender Liebe und tiefstem, verwirrendem Hass, einsam, schwebend in ihrem trotzigen Glück? Bin ich das, Tobey, siehst du mich so? Was gäbe ich für einen Nachmittag auf dem Hügel, eineStunde! Die Sonne scheint uns auf die Köpfe und wärmt unsere Worte, bevor wir sie aussprechen. Sam steht neben uns, kaut nachdenklich Gras und wartet darauf, dass ihm Flügel wachsen. Ich erzähle dir, wo ich war in all den Jahren, und du hörst zu, und manchmal, wenn ich von etwas Schlimmem berichte, bleibt eine Wolke über uns stehen, und Sam schüttelt betrübt den Kopf. Die Welt dreht sich, wir können es fühlen. Unsere Finger wachsen durch das Gras ineinander, wir sind ein Stammbaum mit zwei Stämmen, unsere Kronen sind rauschende Galaxien. Deine Sterne leuchten blau, meine rot.
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    5
     
    Die Schmerzen waren weg. Er lag da und spürte weder die offenen Stellen an den Knöcheln und Handgelenken noch den wunden Hals. Sein Körper war leicht, er schwebte. Das Radio in der Küche hatte aufgehört zu spielen, Stille füllte seinen Kopf. Bewusstsein sickerte in ihn hinein, warmes Licht, der Geruch nach Seife, das Gefühl von Stoff auf der Haut. Es war ein Auftauchen und Absinken, ein sanftes Schaukeln in einer Strömung aus Hell und Dunkel. Im Traum schwamm er hin und her zwischen tiefstem Schlaf und einer Ahnung von Wachsein. Seine Finger zuckten.
    »Tobey?« Die Stimme leuchtete in seinem Schädel auf, gelb, eine gemütliche Laterne, und erlosch.
    Er schwamm schneller, seine Beine strampelten. Als sein Kopf ins Dämmerlicht stieß, riss er den Mund auf und füllte die Lungen mit Luft. Ein Laut entfuhr seiner Brust, der ihm fremd vorkam wie der eines Tieres.
    »Sind Sie wach?«, fragte die Stimme, die nicht Megan gehörte.
    Tobey schloss die Augen und machte sie wieder auf, blinzelte. Er sah eine Wand, eine verschwommene hellgraue Fläche. Ein Gesicht tauchte darin auf.
    »Willkommen!«
    Ein gutes Wort, dachte Tobey, nachdem er einigermaßen sicher war, es wirklich gehört zu haben. Es bedeutete etwas Friedliches, sagte er sich, es drückte das Gegenteil von Feindseligkeit aus. Dann erinnerte er sich an das Niedergeschlagenwerden, an die Fesseln und die Schmerzen, und das Wort bekam etwas Falsches, Zynisches. Willkommen in unserer Gewalt. Willkommen am Ort deines Todes.
    Er richtete sich auf. Der Raum wurde für Sekunden schwarz und dannein fahles Gewölbe aus krummen Wänden, konturenlos und ohne Tiefe. Tobey sank zurück, die Decke über ihm flackerte, ein düsteres Gewässer, aufgewühlt von schillernden trägen Fischen. Er schwamm nicht mehr. Er ging unter, verließ die Schicht aus trübem Grau, sank ins Schwarz. In seinem Blut trieben stachelige Sterne und glühende Planeten. Beim Hinabgleiten sah er ein paar schmutzighelle Flecken über sich, Inselbäuche, Regenwolken, dann erreichte er den Grund, wo eine Mulde in der Form seines Körpers auf ihn wartete.
     
    Beim nächsten Mal blieb Tobey wach. Mit geschlossenen Augen lag er eine Weile da und wartete auf die Stimme. Als es still blieb, öffnete er die Augen. Der Raum, in dem er sich befand, hatte die Größe einer Gefängniszelle. Eine in die niedrige Betondecke eingelassene und durch ein Gitter geschützte Leuchtstoffröhre verströmte ein Licht, das so schwach war, dass es sich auf dem Weg zum Boden verlor. Bis auf die mit einem weißen Laken bespannte Metallliege, einen kleinen Tisch mit Stuhl und eine Kommode war der Raum leer. Tobey setzte sich auf. Jemand hatte seine Wunden behandelt, Verbände zierten Knöchel und Handgelenke. Er