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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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bewegte die steifen Finger, betastete die Wunde am Hinterkopf und fühlte Stoppeln, Mull und Klebeband. Den stechenden Schmerz in seinem Kopf spürte er nicht mehr, auch keinen Durst. In seiner linken Armbeuge klebte ein Heftpflaster, unter dem rot das Einstichloch einer Nadel leuchtete.
    Tobey rutschte vorsichtig von der Liege, und als er merkte, dass die Beine ihn trugen, ging er zu der Kommode und öffnete die drei Schubladen, nur um festzustellen, dass sie leer waren. Er suchte den Boden und die Wände des Raumes ab und fand nicht einmal einen Lichtschalter. Hinter dem verglasten Sichtfenster in der Stahltür war nur Dunkelheit. Aus einer untertellergroßen vergitterten Öffnung in der Decke tropfte Wasser, und als Tobey den Atem anhielt, glaubte er das Geräusch von fallendem Regen zu hören. Eine Weile lauschte er dem dumpfen Trommeln, und erst als ihm der Gedanke kam, dieses Loch vielleicht nicht mehr zu verlassen und Regen auf der Haut zu spüren, ergriff ihn Beklemmung. Er schloss die Augen, atmete ein paar Mal tief durch und beruhigte sich. Wenn man ihn umbringen wollte, dachte er, zunehmend wach werdend, hätte man ihnwohl kaum verarztet. Die Stimme fiel ihm ein und das Wort, von dem er nicht wollte, dass er es nur geträumt hatte. Willkommen .
    Er fühlte sich erholt und fragte sich plötzlich bestürzt, wie lange er geschlafen haben mochte. Vielleicht war das Boot gekommen, und die Männer hatten neben dem Schiffswrack auf ihn gewartet. Er sah die drei im Sand hocken, ihre schrecklichen Zigaretten rauchen und über sein Schicksal rätseln. Er stellte sich vor, wie sie davonfuhren, kopfschüttelnd, möglicherweise gar betrübt, in ihren düsteren Ahnungen bestätigt. Er hämmerte gegen die Tür, bis die Haut an seinen Fäusten zu platzen drohte, und er schrie, seine Lippen berührten das Glas, aber was aus seinen Lungen, seiner Kehle kam, war nur ein heiseres Krächzen, schmerzhaft, als hustete er winzige Scherben.
    Er setzte sich auf den Boden, umschlang die angewinkelten Beine mit den Armen und legte den Kopf darauf. Er hätte gerne Megans Briefe bei sich gehabt. Immer wieder hätte er einzelne Sätze gelesen, immer wieder die Stelle, wo sie die Muschel verschluckt.
     
    Als die Tür entriegelt wurde, blieb Tobey sitzen. Er sah braune Füße in Sandalen auf sich zukommen, eine weiße Hose, die am Saum mit Schlammspritzern gesprenkelt war, ein über die Hüfte hängendes, orangefarbenes Hemd und braune Hände, klein wie die einer Frau.
    »Wie geht es Ihnen?«
    Tobey hob den Kopf. Der Mann lächelte, seine Zähne leuchteten im dunklen Gesicht. Er hatte eine Glatze, eine spiegelglatte Fläche, um die ein Kranz aus kurzem schwarzem Haar stand.
    »Können Sie aufstehen?« Der Mann streckte einen Arm aus.
    Erst jetzt sah Tobey die beiden Männer, die vor der Tür standen, Philippinos, der eine vierzig oder fünfzig, der andere jung, höchstens zwanzig. Der Jüngere, er war barfuß und trug kurze Hosen und ein gelbes Leibchen, warf ihm verstohlene Blicke zu. Tobey dachte an die Stimmen, die er in der ersten Nacht gehört hatte, die brummige und die unbekümmerte, Vater und Sohn.
    »Wer sind Sie?«, fragte Tobey.
    Der Mann lachte. »Ach, wenn ich das wüsste«, sagte er, senkte für einen Moment den Kopf und schüttelte ihn. Dann sah er Tobey wieder an. »EntschuldigenSie.« Er räusperte sich und sein Gesicht wurde etwas ernster, ohne das Kindliche, Heitere ganz zu verlieren. »Ich weiß, Ihre Frage war keineswegs philosophisch gemeint.«
    Tobey starrte den Mann an. Inder, vermutete er, sechzig Jahre alt, vielleicht etwas älter. Er wirkte nicht bedrohlich, eher besorgt, und die Tatsache, dass sein Englisch trotz rollender R’s und einer angenehm unbritischen Melodik perfekt war, beruhigte Tobey ein wenig.
    »Tanvir Raihan«, sagte der Mann und lächelte, als Tobey seine ausgestreckte Hand ignorierte. »Vor ein paar Jahren hätte ich mich noch als Doktor vorgestellt, aber diese Zeiten der Eitelkeit und Etikette sind vorbei.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Oh, gar nichts.« Alles, was Tobey sagte, schien Tanvir zu erheitern. »Die Frage dürfte wohl eher sein: Was wollen Sie auf dieser Insel?«
    »Wo ist der Kerl, der mich niedergeschlagen hat?«
    »Nicht in der Nähe.«
    »Wie lange habe ich hier gelegen?«
    »Eine halbe Nacht und fast einen Tag.«
    Tobey überlegte. Die erste Nacht hatte er im Wellblechschuppen geschlafen, die zweite gefesselt in der Holzhütte verbracht und die dritte im Wellblechschuppen

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