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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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unvermittelt, dass die vier Worte ihn selber überraschten.
    Tanvir hob den Kopf, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken. »Bitte?«
    »Sie haben mich gehört. Halten Sie mich hier gefangen?«
    Tanvir schien zu müde, um zu lachen. Sein Oberkörper zuckte fast unmerklich, etwas Luft entwich seinem Mund. »Habe ich es vergessen zu erwähnen? Übermorgen kommt das Versorgungsboot. Damit können Sie weg.«
    Tobey fühlte sich plötzlich unbehaglich. Unter dem Hemd spürte er den Schweiß, der ihm aus den Poren trat, sein Kopf war leer und wog doch so viel wie zwei volle Koffer. Er wollte etwas sagen, etwas Versöhnlichesoder etwas, das seine Frage gerechtfertigt hätte, aber es fiel ihm nichts ein. Er blieb auf der Kante des Sofas sitzen und sah in das gelbe Flackern einer Lampe auf der Veranda.
    Die nächsten Minuten saßen die beiden Männer stumm da, jeder in seine Gedanken versunken, abgetaucht in einen inneren See ohne Licht und Grund.
    »Es war ein langer Tag«, sagte Tanvir schließlich, trank sein Glas leer und erhob sich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, ziehe ich mich jetzt zurück.«
    »Natürlich.« Tobey stand ebenfalls auf.
    Tanvir schloss die beiden Türen und verriegelte sie. »Oh, da fällt mir ein, ich habe etwas für Sie.« Er ging zu einer Kommode, deren Holz schwarz wie Kohle und mit Blumenblüten und Vögeln verziert war, nahm einen Umschlag aus der obersten Schublade und gab ihn Tobey.
    »Was ist das?«
    »Man könnte sagen, Megans Hinterlassenschaft.«
    Tobey betrachtete den Umschlag aus braunem Papier, der nur ein paar Millimeter dick war, aber schwer in seiner Hand lag.
    »Ich bin sicher, sie hätte gewollt, dass Sie die Sachen bekommen«, sagte Tanvir und öffnete die Tür.
    Tobey trat auf den von einer Leuchtstoffröhre erhellten Flur. Er wollte noch etwas sagen, aber es fiel ihm nichts ein, also schwieg er.
    »Gute Nacht, Tobey«, sagte Tanvir, der im Neonlicht noch älter und müder aussah.
    »Gute Nacht.« Tobey ging ein paar Schritte, drehte sich um und sagte: »Danke«, aber Tanvir hatte die Tür schon geschlossen.
     
    Tobey legte sich sich auf das Bett und öffnete den Umschlag. Achtzehn Blatt Papier zählte er und das ovale Etikett einer Bierflasche, auf deren Rückseite Megan einen eingerollten Tausendfüßler gezeichnet hatte. Elf Blätter waren auf beiden Seiten mit Skizzen von Tieren und Pflanzen bedeckt, vier waren Porträts von Montgomery und Chester und einem Bonobo mit Gipsfuß, auf zwei Blättern standen Gedichte und eines war ein zerknüllter und wieder glattgestrichener Brief an ihn.

 
    Nachricht von Megan
     
    Heute keine Erinnerungen, keine Worte, keine Träume, keine Reue, keine Verzweiflung, keine Beichte, kein Glück, keine Reisen, keine Kindheit, keine Augenblicke, keine Trauer, keine Versöhnung, keine Hilferufe, kein Atemholen, keine Abschiede, keine Sterne, kein Meer, keine Lügen, keine Schmerzen, keine Missverständnisse, keine Orte, kein Lied, keine Freude, kein Himmel, keine Wünsche, kein Sprung, keine Sonne, keine Umarmung, keine Fragen, keine Kraft, kein Mut, kein Aufbegehren, kein Innehalten, keine Täuschungen, keine Angst, keine Entschuldigungen, kein Ich, keine Flucht, keine Wunder, keine Selbstvorwürfe, keine Gedanken, keine Tiere, keine Tränen, keine Hoffnung, keine Wut, keine Seele, kein Zureden, kein Licht, keine Hügel, keine Barmherzigkeit.
     
    Keine Liebe.
    Keine Megan.

 
    11
     
    Tobey watete durch hüfttiefes Wasser. Er hielt mit beiden Händen eine Bambusstange fest, an deren Ende ein Netz befestigt war. Mit dem Netz fischte er Quallen aus dem Wasser und schleuderte sie hinter sich auf den Strand. Das Meer und der Himmel waren dunkel, die Quallen durchsichtig leuchtende Muskeln, die im Sand pulsierende Klumpen bildeten. Tobey keuchte vor Anstrengung, mit jedem vollen Netz wurden seine Arme schwerer. Megan schwamm weit draußen, wo keine Quallen waren. Ab und zu hob sie den Arm und winkte. Er wollte ihr zurufen, sie dürfe nicht zu ihm schwimmen, aber aus seinem Mund kam kein Ton. Sein Herz schlug so laut, dass er es hören konnte.
    Als Tobey aufwachte, fühlten sich seine Arme bleiern an. Er lag eine Weile da und starrte an die Decke, wo der Ventilator sich auf der langsamsten Stufe drehte. Draußen war es noch dunkel und beinahe still. Er drehte sich zur Seite und schloss die Augen. Dann hörte er das Klopfen. Er setzte sich auf und horchte. »Wer ist da?«, wollte er rufen, flüsterte es aber nur und griff nach der Wasserflasche, die

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