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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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wie könnten Sie.« Tanvir lächelte und folgte den beiden Philippinos.
    Chesters Arm erschien neben Rosalindas leerem Stuhl, und als ihm niemand eine Scheibe Brot reichte, erhob er sich und spähte über die Tischplatte. Rosalinda hatte keine Zeit für ihn, sie streute Gewürze in einen Topf voller Gemüse und stieß mit dem Knie die Tür des Backofens zu, aus dem sie gerade ein Gitter mit gebackenen Maiskolben geholt hatte.
    Die Idee, Chester die Pille zu geben, kam Tobey einfach so. Er wollte dem Schimpansen nicht schaden, aber genauso wenig wollte er die Wirkung an sich selber testen. Während er eine Kugel aus weichem Brot formte, redete er sich ein, die Pille sei zu klein, um dem stattlichen Tier ernsthaft gefährlich zu werden. Vielleicht war es nur ein Medikament, dachte er halbherzig, gegen Cholera oder Malaria, Krankheiten, die es in dieser Gegend noch immer gab, oder gegen Schmerzen, Durchfall, Fieber, Inselkoller. Vitamintabletten sahen so aus, sagte er sich, aber natürlich wusste er, dass das Unsinn war. Bei der blassgelben, ovalen Pillehandelte es sich um eine synthetische Droge. Er hatte hunderte davon gesehen, in allen Farben und Formen. Eine Zeitlang hatte er sie selber geschluckt, um sich aufzuputschen, zu belohnen, zu trösten.
    Was er nicht abschätzen konnte, war die Stärke der Droge, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt wie einen glanzlosen Diamanten. Trotzdem steckte er die Pille in den weichen Teig und erschrak, als Rosalinda mit einem Topfdeckel schepperte. Das Radio spielte eine Oper, in den kalten dunklen Bäuchen der Kühlschränke klimperten leise Flaschen, während die Aggregate mit einem heftigen Schlottern ansprangen.
    Gerade als Tobey Chester die Brotkugel hinhielt, betrat Montgomery den Raum. Tobey wollte die Hand zurückziehen, aber da griff Chester die Kugel schon mit den Fingern, roch daran und steckte sie in den Mund. Montgomery trug eine hellgraue Hose und ein Hemd in der gleichen Farbe, was ihn wie einen Gefängnisinsassen aussehen ließ. Er setzte sich auf seinen Stuhl, strich die Plastiktischdecke glatt und polierte seinen Löffel mit einer Papierserviette. Dann saß er bewegungslos und mit hängenden Schultern da, wie versunken in die Betrachtung des Salzstreuers, einen Ausdruck von Gleichmut und Kummer im dunklen, flachen Gesicht.
    Als Tanvir, Miguel und Jay Jay vom Händewaschen kamen, standen alle Töpfe, Schüsseln und Krüge auf dem Tisch. Rosalinda hielt sich zurück und beendete ihr Gebet schon nach zwei Minuten, was Tanvir, der unruhig und müde wirkte, einmal mehr unterbot.
    »Oh Herr«, sagte Tobey in die sekundenlange Stille, die zwischen dem reihum gemurmelten Amen und der von Stuhlrücken, Besteckklappern und Chesters vorfreudigem Ächzen erfüllten Geschäftigkeit eintrat, und alle, auch der Bonobo und der Schimpanse, erstarrten in ihren Bewegungen. Die Bewegung, mit der Rosalinda den Schöpflöffel führte, fror über einer Schüssel ein, Tanvirs Serviette hing zwischen Tischkante und Kinn in der Luft, Jay Jays leerer Teller schwebte in den Dampfschwaden eines offenen Topfs. »Wir danken Dir für Deine Gnade und die Fülle, mit der Du uns beschenkst.« Gabeln wurden sachte zurückgelegt, Gläser abgestellt, Hände gefaltet. »Wir bitten Dich, all jene, die wir lieben und die heute nicht bei uns sein können, in Deiner Obhut Frieden finden zu lassen. Wir bitten Dich auch, oh Herr, uns beizustehenin unseren Bemühungen, das Böse zu bekämpfen, das Falsche und die Lüge. Gepriesen sei Dein Name, in Ewigkeit. Amen.«
    Einen Atemzug lang blieb es still in der Küche. Niemand bewegte sich, nur die Blätter der Deckenventilatoren kreisten.
    »Amen«, sagte Rosalinda endlich, bekreuzigte sich und ließ den Schöpflöffel in die Schüssel mit gekochtem Gemüse sinken.
    Jetzt fielen auch die drei Männer aus ihrer Erstarrung, schickten ein Amen hinterher und machten sich daran, ihre Teller zu füllen.
    »Gehen Sie oft in die Kirche, Tobey?« Tanvir suchte sich das größte Stück Huhn aus dem Topf und legte es auf seinen Teller.
    »Ich war seit Jahren in keiner.«
    »Dafür klang es sehr überzeugend.«
    »Das war nicht meine Absicht.«
    Tanvir lud sich Reis und Gemüse auf den Teller und nahm eine Scheibe Brot aus dem Korb. »Kämpfen Sie gegen das Böse, Tobey? Das Falsche?«
    Tobey hatte keine Lust auf eine Unterhaltung. Er kaute lange und trank Wasser. »Wenn ich kann«, sagte er schließlich.
    »Das Böse.« Tanvir machte eine Pause, die Tobey für

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