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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Fensterfassungen blätterte in handtellergroßen Placken die weiße Farbe, im Geländer der Veranda fehlten Sprossen, die Bretter der Treppenstufen bogen sich durch. Sogar der Rasen, der gemäht, aber nicht gepflegt zu werden schien, sah an diesem Morgen erbärmlicher aus als vor wenigen Tagen, als das Sonnenlicht viele Makel überblendet hatte.
    Montgomery ging die Stufen der vorderen Treppe hoch und legte das Gesicht, von den Händen seitlich abgeschirmt, an die Scheibe der Eingangstür. Im Innern der Villa war es still, nichts rührte sich. Irgendwo in der Nähe gab es einen Teich, Tobey hörte leises Quaken von Fröschen. Er war durstig und hungrig und bereute, Montgomery widerspruchslos gefolgt zu sein. Sie hätten zuerst frühstücken und danach losgehenkönnen, dachte er missmutig und fragte sich zum wiederholten Mal, was in aller Welt er hier eigentlich machte, vor diesem Haus, auf dieser Insel, in diesem Land. Dann dachte er daran, was Tanvir gesagt hatte, dass am nächsten Tag ein Boot kommen und ihn mitnehmen würde, und beruhigte sich ein wenig. Montgomery drehte den Türknauf und betrat das Haus. In der vagen Hoffnung auf eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Toast folgte Tobey ihm.
    Sie gingen durch einen Vorraum, in dem eine kleine Kommode ohne Schubladen stand. An einer Wand hing ein fleckiger Spiegel, an einem Haken ein einsamer Strohhut. Die Bodenbretter knarrten unter Tobeys Schritten, erst im nächsten Raum, den man durch eine offene Flügeltür erreichte, lag ein Teppich. Montgomery blieb stehen und nahm seine Mütze ab. Der Raum erschien Tobey klein und eng, das noch kraftlose Tageslicht wurde von Vorhängen auf eine diffuse Helligkeit heruntergedimmt, die auf den Möbeln lag wie matt schimmernder Lack. An der hohen Decke hing ein Ventilator, aber er bewegte sich nicht, was daran liegen mochte, dass zwei Rotorblätter fehlten. Auf dem orientalisch gemusterten Teppich, der zerschlissen und löchrig war und den größten Teil des Dielenbodens bedeckte, standen zahllose Kisten und Schachteln herum, dazwischen lagen Kleidungsstücke, Schuhe, Bücher, Magazine, lose Blätter, Kissen, Hutschachteln, ein Regenschirm. An der Wand, in einem monströsen pechschwarzen Rahmen aus wulstigen, verschlungenen Ranken und mal geschlossenen und mal weit geöffneten Blütenkelchen, hing ein Gemälde. Es zeigte eine in düsteren Farben gemalte Landschaft, finstere Wälder und Hügel unter einem Gewitterhimmel voll brodelnder Wolken, in dessen Zentrum ein Affe saß, ein dünnes, langgliedriges Tier mit einem dunklen Fell und einem hohen schwarzen Zylinder auf dem Kopf, wie Totengräber sie trugen. In den Händen des Affen lag etwas, das Tobey erst für einen Vogel mit hellen ausgebreiteten Schwingen hielt, dann aber als aufgeschlagenes Buch erkannte. Ein Lichtschimmer ging von den Seiten aus, dessen Quelle das Buch selbst zu sein schien. Unter dem Bild, eingerahmt von zwei Tischen, jeder groß genug für ein Dutzend Leute und vollgestellt mit Büchern, Flaschen, Geschirr und Kerzen, stand ein Bett.
    »Wer ist da?« Die Frauenstimme, dünn und doch klar, kam hinterden Decken und Kissen hervor, die am Fußende des Bettes ein Gebirge bildeten.
    Montgomery trat zwischen einen der Tische und das Bett. Er bot immer wieder ein neues Bild; jetzt sah Tobey in ihm einen Jungen in Pfadfinderuniform, der seine kranke Großmutter besucht.
    »Ach, das Äffchen.« Ein magerer bleicher Arm, an dessen Ende eine Hand mit langen dünnen Fingern hing, streckte sich Montgomery entgegen, und zu Tobeys Verwunderung nahm der Bonobo die Hand in seine und küsste sie. »Ist denn die Zeitung heute endlich gekommen?«, fragte die Frau, von der Tobey wegen des Deckenberges noch immer nichts sah außer den Arm, der sich langsam zurückzog.
    Montgomery winkte Tobey zu sich. Tobey schüttelte den Kopf und formte mit den Lippen das Wort Nein. Er wollte raus an die frische Luft; dieses Zimmer kam ihm vor wie eine Aufbewahrungskammer nicht nur zahlloser Dinge, sondern auch Gerüche, von denen einer sich zweifelsfrei menschlichen Ausscheidungen zuordnen ließ.
    »Sind Sie auch da, Diego?« Die Stimme war jetzt lauter. »Diego?«
    Montgomery war so schnell bei ihm und packte so rasch seinen Arm, dass Tobey nicht reagieren konnte. Im nächsten Augenblick stand er neben dem Bett und blickte auf eine vielleicht siebzig-, vielleicht achtzigjährige Frau hinunter, die, bekleidet mit einem beigefarbenen fleckigen Regenmantel, einem Nachthemd und fusseligen

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