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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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bedeutungsvoll halten sollte. »Das ist ein mächtiger Gegner.«
    Tobey sagte nichts mehr. Eine Weile aßen alle schweigend. Gelegentlich gab Chester einen Laut von sich, einen langgezogenen Seufzer, der mehrere Tonlagen umfasste und unterlegt war von hohem, flatterigem Knurren.
    Als die Töpfe und Schüsseln leer und alle satt waren, setzte Rosalinda Kaffeewasser auf und stellte einen radkappengroßen Teller mit Wassermelonenstücken in die Tischmitte. Sie schalt Chester, der sich selber bedienen wollte, und nahm ihm die Papierserviette weg, bevor er sie sich in die Ohren stopfen konnte.
    »Waren Sie heute wieder schwimmen?«, fragte Tanvir, nachdem er Chester mit ein paar Handzeichen zurechtgewiesen hatte.
    »Ja.«
    »Sie wurden den ganzen Tag nicht gesehen.«
    »Hat man nach mir gesucht?«
    Tanvir lächelte, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Die Insel ist klein, Begegnungen sind fast unvermeidlich.«
    »Ich wollte alleine sein.«
    »Ich verstehe.« Tanvir tat sich zwei Melonenstücke auf den Teller. »Aber am Strand, bei der Hitze?« Er schnalzte mit der Zunge. »Sie holen sich noch einen Sonnenstich.«
    »Ich war auch auf dem Friedhof.«
    »Oh, der Friedhof.« Tanvir klaubte Kerne aus dem Melonenfleisch und reihte sie am Tellerrand auf. »Ein wunderbarer Ort. Man wünscht sich, für immer in seiner schattigen Kühle zu bleiben.«
    Rosalinda brachte den Kaffee und schenkte denen ein, die ihr die Tasse entgegenhielten. Chester griff mit beiden Händen in die Tasche ihres Kleides und versuchte, den Kopf hineinzustecken. Die Köchin stellte die Kaffeekanne auf den Tisch, packte Chesters Arme und drückte ihn in seinen Stuhl. Dabei schimpfte sie leise mit ihm, was bedrohlicher klang, als wenn sie gebrüllt hätte.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Tanvir.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Rosalinda. »Er ist seltsam, plötzlich.«
    Chester streckte die Arme in die Höhe, wedelte mit den Händen und riss den Mund auf, ohne dass ein Ton aus seiner Kehle kam. Er legte den Kopf in den Nacken, die Pupillen verschwanden unter den zitternden Lidern. Seine Finger bewegten sich, als spielte er Klavier, dann ruderte er mit den Armen wie ein wahnsinniger Dirigent, ein Ertrinkender. Rosalinda versetzte ihm einen Klaps auf den Kopf und tadelte ihn lautstark. Jetzt begann Chester zu jaulen, schwankte mit dem Oberkörper hin und her und fiel schließlich vom Stuhl, rollte über den Boden und blieb auf dem Rücken liegen, Arme und Beine ausgestreckt, mit flatternden Fingern und Zehen.
    Tanvir und Miguel waren aufgesprungen, als Chester vom Stuhl kippte. Miguel rief etwas, immer wieder die gleichen drei Wörter, und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Tanvir starrte auf das Tier hinunter, das sich auf den Holzplanken wälzte wie in einem fürchterlichen Traum, wandte sich dann an Rosalinda und schrie etwas auf Tagalog, das in Tobeys Ohren wie eine Frage oder Anschuldigung klang. Die Köchin schüttelte heftig den Kopf und verteidigte sich, und als Miguel auf sie einredete, fing sie an zu weinen und warf das Geschirrtuch, das über ihrer Schulter gehangen hatte, nach ihm.
    Tobey erhob sich. Er sah Chester in die Augen, und der Schimpanse erwiderte seinen Blick für ein paar Sekunden, die Tobey wie eine Ewigkeit erschienen. Das Tier hatte die fleckigweiße Zunge herausgestreckt und bewegte langsam den Kopf hin und her. Töne entströmten ihm, die zwischen lallender Vergnügtheit und tiefem Elend variierten und mit einem langen brummenden Seufzer ausklangen. Tanvir kniete sich neben Chester, fühlte ihm den Puls und rief dann Jay Jay etwas zu, worauf der eine Taschenlampe von einem Regal nahm und aus der Küche rannte. Rosalinda saß auf ihrem Stuhl und schluchzte in das Geschirrtuch, das Miguel ihr zurückgegeben hatte. Tobey fühlte sich furchtbar, ihm war plötzlich übel. Er hielt mit beiden Händen die Lehne seines Stuhls umfasst und vermied es, Chester anzusehen. Einmal drehte er den Kopf zur Seite und zuckte zusammen, als er merkte, dass Montgomerys Blick auf ihm ruhte.
     
    Zwei Stunden später saß Tobey in Tanvirs Zimmer, das am Ende der Schlafbaracke lag, weit weg vom lärmenden Dieselmotor, und trank süßen, eisgekühlten Schwarztee. Tanvir hatte zwei Flügeltüren geöffnet, durch die man auf eine schmale Veranda gelangte. Tontöpfe standen auf den rohen Holzplanken, zwischen großen Steinen schimmerte weiß der Schädel eines Tieres. Tobey hatte auf einem Sofa Platz genommen, Tanvir in einem Sessel, dessen

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