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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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braunes Leder abgestoßen und rissig war. Vor einer halben Stunde hatten sie Chester ins Bett gelegt. Der Schimpanse bewohnte in der Küchenbaracke ein Zimmer, das neben dem von Rosalinda lag, nur wenige Schritte von Montgomery entfernt. Weil Chester nicht allein sein konnte, war vor Jahren die Tür zwischen seinem und Rosalindas Raum entfernt und durch einen Vorhang ersetzt worden. Tobey, von einem schlechten Gewissen geplagt und doch halbwegs beruhigt, weil er sah, dass Chester sich langsam erholte, war mitgegangen, als sie den schlafenden Schimpansen von der Küche in sein Zimmer getragen hatten. Während Chester von Rosalinda zugedeckt worden war, hatte Tobey sich umgesehen. An den hellblau gestrichenen Wänden hingen Illustriertenfotos, ein bunter Flickenteppich aus Bergen und Wiesen und Seen, aus Autos, Tieren, Filmstars, Flugzeugen, Traktoren und bebilderten Kochrezepten. Die Regale waren voller Bilderbücher und Stofftiere,in einer Ecke stand ein weißes Schaukelpferd. Montgomery lebte im Zimmer eines alten Mannes, Chester in dem eines kleinen Kindes.
    »Noch vor ein paar Jahren gab es hier Geräte für Bluttests.« Tanvir hatte zwei Gläser Eistee getrunken, jetzt schenkte er sich Gin ein. Er sah noch müder aus als beim Abendessen und versank beinahe in dem Sessel, dessen Rückenlehne weit über seinen Kopf hinausragte. »Heute bleibt mir nur zu spekulieren.«
    »Ich glaube, Ihre Vermutung mit der giftigen Frucht oder Pflanze ist am plausibelsten«, sagte Tobey. Ein Deckenventilator sorgte dafür, dass die stickige Luft sich bewegte, aber er schwitzte trotzdem. An Chesters Bett hatte er die Hand des Schimpansen gehalten, einen Moment nur, und sich dabei schrecklich gefühlt. Er hatte sich gefragt, welche Nachwirkungen die Droge, was immer es gewesen sein mochte, haben würde, und sich an ganze Tage im Bett erinnert, an einen Kopf voller Watte und Nadeln und taube Fingerkuppen.
    »Das wäre sehr merkwürdig. Chester ist zwar ein Vielfraß, aber er würde nichts essen, was er nicht kennt.«
    »Vielleicht hat er irgendetwas gefunden.«
    »Was denn?«
    »Ich weiß nicht.«
    Tanvir sah Tobey ausdruckslos an. »Rätselhaft«, sagte er.
    Ein großer Käfer prallte gegen eine Scheibe und fiel auf den Boden, wo er sich surrend im Kreis drehte.
    »Woher kommen Montgomery und Chester?«, fragte Tobey, nur, um das Thema zu wechseln.
    Tanvir sah Tobey mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck an, als habe er sich bisher nie mit der Herkunft der Primaten befasst. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Sie waren hier, als ich kam.«
    »Es hat Sie nie interessiert?«
    »Nun ja, ich weiß, dass beide in Gefangenschaft geboren und von Menschen aufgezogen wurden.«
    Tobey sah hinaus. Sie saßen im Dunkeln, damit die Insekten nicht ins Zimmer kamen. Es gab Fragen, die er stellen wollte, aber sie hatten nichts mit den Primaten zu tun. Er wollte wissen, ob man ihn gefangen hielt, ob hier Drogen hergestellt wurden und wie Megan wirklich ums Lebengekommen war. Aber er schwieg. Er sah in die Nacht hinaus und stellte sich vor, in einem Boot zu liegen, das auf einem Fluss trieb, immer weiter, einem unbekannten Ziel entgegen, einem Morgen nach einer endlosen Nacht.
    »Chester und Montgomery fühlen sich nicht wie Tiere, wenn Sie das meinen.« Tanvirs Stimme klang leise, wie von weit her, vom entfernten Ufer des Flusses. »Sie denken wahrscheinlich, sie seien Menschen.«
    »Das sind sie aber nicht«, sagte Tobey schläfrig und gleichzeitig geweckt von einem plötzlichen Widerwillen gegen diese Unterhaltung. Er griff nach seinem Glas und sah erst, dass es leer war, als er es in der Hand hielt. »Sie gehören eigentlich nach Afrika. In einen Urwald, zu ihren Artgenossen.«
    Tanvir lachte auf, ein kurzes, heiseres Husten, das er mit einem Schluck Gin besänftigte. »Sehr gut! Und wir? Gehören wir eigentlich in Höhlen, mit Fellen bekleidet und Speeren bewaffnet? Oder auf Eselskarren? In Kutschen?«
    »Ich meine es ernst.« Tobey stellte das Glas auf den Tisch, aber es gelang ihm nicht mit der energischen Geste, die er beabsichtigt hatte.
    »Oh, natürlich meinen Sie es ernst! Denn Sie sind ein Romantiker, Tobey. Waren Sie mal in Afrika? Ich schon. Urwald …« Tanvir lachte wieder glucksend, schüttelte träge den Kopf. »Ein Träumer, noch dazu ein christlicher. Gott bewahre.«
    Tobey wäre gerne aufgestanden und gegangen, aber er fühlte sich wie erschlagen und versank im weichen Sofa.
    »Bin ich Ihr Gefangener?«, fragte er so

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