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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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General« vor seinen Offizieren zu einer erschrocken-blasierten Bewunderung für den deutschen Bundesgenossen sagen lässt: »Wir ham Siege an unsere Fahnen geheftet, schöne Siege, das muß uns der Neid lassen, aber es ist unerläßlich, dass wir fürn nächsten Krieg die Organisation bei uns einführn. Gewiß, wir ham Talente in Hülle und Fülle, aber uns fehlt die Organisation. Es müßte der Ehrgeiz von einem jeden von Ihnen sein, die Organisation bei uns einzuführn. Schaun's meine Herren, da können's sagen was Sie wollen gegen die Deutschen – eines muß ihnen der Neid lassen, sie ham halt doch die Organisation – ich sag immer und darauf halt ich: wenn nur a bisserl a Organisation bei uns wäre, nacher gingets schon – aber so, was uns fehlt, is halt doch die Organisation. Das ham die Deutschen uns voraus, das muß ihnen der Neid lassen. Gewiß, auch wir ham vor ihnen manches voraus, zum Beispiel das gewisse Etwas, den Scham (Charme), das Schenesequa, die Gemütlichkeit, das muß uns der Neid lassen – aber wenn wir in einer Schlamastik (einem Schlamassel) sind, da kommen halt die Deutschen mit ihnerer Organisation und –«
    Jetzt, nach 1939, war sie da, die Organisation, wegen der wir die »Piefkes« beneideten. Aber was war vom »Charme«, von »Schenesequa«, von der »Gemütlichkeit« übrig geblieben? Wenn ich zurückdenke, dann hatten sich diese Tugenden der Österreicher zu einer schlampig-fadenscheinigen Operetten-Unwirklichkeit verflüchtigt. Als mein Vater 1942 in Russland war, hat mich meine Mutter, die ein Abonnement im Bielitzer Stadttheater hatte, das ich rot plüschig im Gedächtnis habe, in ein oder zwei Vorstellungen vom »Vetter aus Dingsda« mitgenommen, wo ein fröhlich auf die Bühne springender Lulatsch sang: »Onkel und Tante, ja das sind Verwandte / Die man am liebsten nur von hinten sieht.« Ich durfte auch in die (mich damals schon beseligende) »Lustige Witwe«: »Lippen schweigen, s'flüstern Geigen: Hab mich lieb! All die Schritte sagen bitte hab mich lieb!«
    Ich habe die Tragödie meines Großvaters – gewiss nur eine von vielen Millionen Tragödien – als Kind nie auch nur im Entferntesten verstanden. Und mein Großvater hat über seine Invalidität immer nur gewitzelt.
    In Brünn, wo ich oft bei den Großeltern war, die in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung lebten, Wohnküche und daneben liegendes Schlafzimmer, hat er mir erklärt, was für einen einmaligen Opa ich habe, er könne sich sein Bein abschnallen, seine Zähne herausnehmen und seine Haare könne er auskämmen. Und dann kämmte er sich ein paar seiner wenigen Haare aus. Wenn ich bei den Großeltern schlafen durfte, dann bewunderte ich ein rotes Sofa, an dessen runden Lehnen je ein Löwenkopf aus Messing war, der einen Ring durch die Nase hatte. Mein Großvater schnarchte beim Nachmittagsschlaf in dem abgedunkelten Raum neben mir, während ich ohne Schlaf mit den Messingringen an den Löwenköpfen spielte und ihn sehr liebte.
    Ich sehe ihn auch in der Küche sitzen, wo er Zigarettenkippen aufschneidet, den Tabak in einer großen Blechbüchse sammelt, um sich dann mit einem Stopfer und Papierhülsen Zigaretten zu stopfen.
    Einmal, als meine Oma weg war und er für mich und sich einen Linseneintopf aufwärmte, schwammen ein, zwei Kippen in der Suppe, so dass wir sie wegschütten mussten.
    Jedesmal ist mein Großvater mit mir spazieren gegangen, an seinen zwei Krücken, die er ohne Ellbogenstützen, wie ich fand, kraftvoll elegant mit seinen Fäusten stemmte, ohne abzugleiten und ohne auszugleiten. Wir stiegen bis zum »Jägerhaus« hinauf, den Weg habe ich ziemlich steil in Erinnerung. Oben angekommen, trank ich ein »Kracherl« (Himbeerlimonade mit Kohlensäure).
    Meine Großmutter, mit dem Großvater gleich alt und auf dem Hochzeitsfoto von 1901 (beide sind einundzwanzig) eine wirklich schöne junge Frau, das, was man (vom Aussehen, nicht von Beruf) als Schnitzlersches »süßes Mädel« vor Augen hat, war 1937 und 1938 eine füllige Matrone, die ihren schweren Körper unter großzügig weiten, wallenden Gewändern verbarg. Sie machte mit mir kindliche Spiele und Scherze, »alles was Flügel hat fliegt«, »zauberte«, indem sie sich kleine Papierfetzen an die Zeigefinger klebte und dann das Papier wegzauberte, weil sie beim Hochstrecken statt der Zeigefinger die Ringfinger mit den Fäusten in die Luft hielt.
    Meine Mutter hat bei den Großeltern sauber gemacht, dafür gab es wohl freies Essen für sie und mich,

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