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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Schauspieler Ernst Busch im Ohr, wie er sang:
     
    Go home, Ami, Ami go home!
    Spalt für den Frieden dein Atom!
    Sag good bye dem Vater Rhein,
    Rühr nicht an sein Töchterlein,
    Loreley, solang du siegst, wird Deutschland sein!
     
    Das hörte sich zwar nicht schön, eher ein bisschen lächerlich für mich an, war aber von da an die politisch korrekte Gesinnung, obwohl der Begriff der political correctness längst noch nicht existierte.
     
    Natürlich wollte auch ich keinen Krieg, die Folgen des schrecklichst Denkbaren saßen uns noch in den Knochen, über die Straßen humpelte das Heer der Kriegskrüppel, die Trümmerlandschaft der Großstädte schwärte als Wunde, noch längst nicht vernarbt, im beginnenden Wirtschaftswunder: Immer wieder rissen Blindgänger Kinder, die in den Trümmern als verbotenem Abenteuerspielplatz spielten, in den Tod, immer noch waren Millionen Deutsche in russischer Kriegsgefangenschaft – nur ein gefühlloser, schwachsinniger Mensch wollte sich in Deutschland auch nur die Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung vor Augen halten.
     
    Die Vorräte auf dem großen Kellerregal meines Onkels sahen kläglich und verloren aus, lange hätten sie den Hunger in einem Krieg, der inzwischen »Ernstfall« hieß, nicht überbrückt. Aber sie waren für mich das erste Zeichen einer Angst, die noch aus der Erschöpfung des Krieges kroch, den wir gerade überlebt hatten. Diese Angst sollte uns begleiten, sie erzeugte ein apokalyptisches Grundgefühl, das zunächst durch die Energie eines unbändigen Aufbauwillens verdrängt wurde, dann durch die Lebenslust und Lebensgier, die in Fresswellen, Bekleidungswellen, Reisewellen über die Deutschen kam. Eine Angst, die verharmlost wurde, wenn man den Bürgern empfahl, im Falle eines Ernstfalles sich die Aktentasche über den Kopf zu halten, um sich vor Strahlungen zu schützen.
    Manche Menschen aber untertunnelten ihre teuren Villen mit Kellergewölben und Atombunkern. Sie hofften, mit allerdings größeren Vorräten, als mein Onkel sie gestapelt hatte, den Ernstfall überleben zu können – in der wahnwitzigen Vorstellung, man würde es Monate, ja Jahre in diesen Maulwurfslöchern aushalten, wenn man nur Schokolade, einen Plattenspieler, einen Teddybären und Rotwein bei sich hätte. Als der Kalte Krieg zu Ende gegangen war und der Terroristenkrieg erst vor der Schwelle stand, wurde die unterirdische Regierungszentrale der deutschen Regierung in der Rhön dem öffentlichen Blick freigegeben. Da blickten wir in ein ziemlich schreckliches Museum einer ins Unterirdische verlegten Wohnkultur der fünfziger Jahre, in eine grauenvoll sinnlose Einrichtung, eine Mischung aus überlebtem spießigem Geschmack, aus Gemütlichkeit und Endzeitstimmung, eine Plüsch- und Nierentischapokalypse mit gelblich schimmernden Schirmlampen. So hätte im »Ernstfall« aus der Tiefe eines Bergwerks das verstrahlte Land weiter regiert werden können. Das war nicht weniger abstrus lächerlich als die Sardinenbüchsen meines Onkels.
    Damals, nach dem kurzen Abstieg in den Metzinger Keller, fuhr ich mit dem Fahrrad zurück nach Würzburg und dann per Autostopp, auf der Autobahn bis Helmstedt, zur Grenze. Die Rückkehr in die DDR war unkompliziert. Noch gab es keine Minenfelder, keine Selbstschussanlagen, keine Wachtürme, und da ich zurückwollte, hatte ich auch keine Angst, erwischt zu werden.
    In der Nähe des Harzes betrat ich wieder den Boden der jungen »Deutschen Demokratischen Republik«, die bald darauf einen Dekaden währenden Kampf um die Staatsbenennung gegen die »Bundesrepublik Deutschland« führte, die dazu neigte, sich vereinfacht »Deutschland« zu nennen – die Politikrhetorik machte daraus die verschliffene »Bunsreplik Doitschland«. Darin sah die »DDR« einen Alleinvertretungsanspruch und führte den Kampf, der gleichzeitig einer um Gleichberechtigung und Anerkennung war, schließlich erfolgreich, jedenfalls was den Namen ihres Landesteiles betraf.
    So wurde aus Westdeutschland die »BRD«, eine Analogie zur »DDR«. Der Westen schlug zurück, indem er die DDR in Anführungszeichen setzte, zur »so genannten« DDR machte – und »demokratisch« war sie ja nun wahrlich nicht, und zu dem »Neusprech«-Euphemismus »volksdemokratisch«, wozu die Satellitenländer der »Sowjetunion« (auch sie in Wahrheit ein verschleiernder Euphemismus für das nach wie vor imperiale Russland), die so genannten doppelt gemoppelten »Volksrepubliken« offiziell wurden,

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