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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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über das er schrieb, um es ausleben zu können, und auslebte, um sein schlechtes Gewissen durch literarische Beichten zu besänftigen.
    War er nicht unterwegs, so holte er sich seine libidinöse Welt an den Bodensee, wo Bewunderinnen in Gestalt von Studentinnen, Rundfunkredakteurinnen, Literatur-Groupies (das Wort gab es damals noch nicht), kurzum: potentielle Anbeterinnen in sein Haus kamen, aufgenommen wurden und – wenn man auch nur seinen Halm- oder Zürn-Romanen glauben darf, und ich glaube, man darf – sich in aufregende, weil verquer heimliche Beziehungen mit ihm einließen. Kleine Tragödien ohne Verbindlichkeit, denn da er schreiben konnte, war er so geschickt feige, dass so gut wie nichts passierte. So geschickt feige wollten wir damals alle sein, wir hofften, dass die Liebe keine Wunden hinterlässt, und sorgten dafür, so gut wir konnten. Walser hat seine Frau nie wirklich verlassen, so deutet es sein soeben erschienener letzter Roman, der »Augenblick der Liebe«, an, vielleicht weil er diese Spiele aus Schuldgefühlen, unterdrückter Geilheit im Kreise der Lieben, Ausbruchsversuchen, die kläglich und ermüdet enden, zum Leben braucht wie der Teufel das Weihwasser – sonst wäre er ja kein Gottseibeiuns.
    Er hatte Freunde, immer wieder hat er welche dazugewonnen. Siegfried Unseld, den er vom Studium her kannte, in dem er sich einen Verleger nach seinem Wunschbild malte, während Unseld auf Walsers literarisches Talent angewiesen blieb und seinerseits (schlecht bezahlte) Lektoren, die ihm die Suhrkamp-Kultur aufbauten (Walter Boehlich, Günther Busch, Karlheinz Braun, Karl Markus Michel und viele mehr), verschliss und überrumpelte; sie waren zwei lebensfrohe Kumpane, die gemeinsam Ski fuhren und die literarischen Partys beherrschten.
    Walsers Freunde waren immer auch seine Rivalen, er liebte sie und war eifersüchtig, sobald sie ihn in seiner Primus-Rolle bedrohten; so war er zwar nicht von intellektueller Brillanz wie sein Freund Enzensberger, aber dem überließ er leicht das Feld des Essays und der Lyrik. Uwe Johnson, den düsteren Chronisten der deutschen Teilung aus Mecklenburg, wie Walser vom Lande, aber von ernsthafteren Skrupeln geplagt und mit mehr Bodenhaftung als der zum Wegfliegen neigende Walser, der eben auch ein Luftikus war, Uwe Johnson hat er beneidet und gefürchtet, als der ihn auch bei Unseld in der literarischen Gunst zu verdrängen schien. Und er hat nicht ohne Bosheit beschrieben – in seinem Roman »Die Brandung« lässt sich das nachlesen –, wie Johnson im alkoholischen Unglück zu versinken drohte. Und versank.
    Ich hatte ihn als junger Kritiker bei der Premierenfeier für »Eiche und Angora« am Schillertheater kennen gelernt, und als er in früher Morgenstunde in Dieners »Tattersall« merkte, wie eine mir gegenübersitzende Schauspielerin unter dem Tisch aus ihrem einen Schuh schlüpfte und, obwohl sie neben ihrem Mann saß, mir irgendwann mit dem nackten Fuß zwischen die Oberschenkel fuhr, war er wach und eifersüchtig, weil er mit ihr, wie Uwe Johnson auch, an anderen Abenden die gleiche Anmache erlebt hatte. Nachdem meine Kritik über seine Nazi-Farce und Heimat-Satire erschienen war – sie war positiv –, bekam ich von ihm einen freundlichen Brief und wir sahen uns ziemlich oft.
    Zum Beispiel bei den legendären Suhrkamp-Abenden während der Buchmesse, wo er mich beobachtete, wie ich mit einer jungen Frau am Boden saß und mich lange und ziemlich ernsthaft unterhielt. Schon hielt er es für nötig, mich zu warnen:
    Dieses Mädchen, das wisse ich vielleicht nicht, gehöre zu Max Frisch, und da sei es unanständig … Aber ich habe mich doch nur mit ihr unterhalten, warf ich mit nicht einmal gespieltem gutem Gewissen ein. Eben, sagte Martin Walser, schon das allein sei unanständig. Seine Eifersucht bezog sich auch darauf, dass ich wegen dieser Unterhaltung die lautstark geführten Schaukämpfe zwischen ihm und Wolf Jobst Siedler nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit in der Reihe seiner Claqueure verfolgt hatte.
    Einmal, die Gruppe 47 tagte in Saulgau – es war die berühmte Tagung, bei der Peter Weiss seinen »Marat / de Sade« vorlas und vortrommelte –, hat er mich aus Stuttgart von den Proben mitgenommen. Aber er vergaß, mich dem Chef der Gruppe 47, dem allmächtigen Hans Werner Richter, vorzustellen (den er später, als die Berliner Walter Höllerer und Günter Grass zu Zentralfiguren der Gruppe avancierten, den »Feldwebel der deutschen Literatur«

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