Auf der Flucht
ja mein Berufsleben erst ermöglicht haben – von Frau Kaeser bei der »Stuttgarter Zeitung« über Frau Stegmann bei der »Zeit«, Renate Freisler-Böhm beim »Spiegel« und Mine Bertrand beim »Tagesspiegel« –, als also Jörg Wehmeyer Stuttgart verließ, hatte ihn Arno Assmann als neu gewählter Kölner Intendant nach Köln geholt, zurück in die Heimat. Er war damals der höchstbezahlte Dramaturg Deutschlands, mit 2000 Mark Monatsgehalt.
Doch das Glück währte nicht lange: Arno Assmann, der nicht nur Intendant, sondern auch Regisseur und Schauspieler war, probte auf der Bühne, Jörg Wehmeyer hatte in seinem Büro den Lautsprecher an, als jemand klopfte, die Tür öffnete und wieder wegwollte, weil er sah, dass Wehmeyer, die Füße auf dem Schreibtisch, zurückgelehnt in seinem Sessel der Lautsprecher-Übertragung von der Bühne lauschte. Doch Wehmeyer sagte: »Kommen Sie ruhig herein. Sie stören nicht. Ich höre mir gerade die falschen Töne unseres Chefs an!«
Das Pech für Wehmeyer war, dass er das laut und dröhnend sagte und dass in diesem Moment Frau Assmann an seinem Büro vorbeiging. Assmann hat sich dann schnell von Wehmeyer getrennt, das »Vertrauensverhältnis« sei »zerstört«.
Jetzt also fuhren wir mit Palitzschs Karmann-Ghia zum Bodensee und ich dachte (oder glaube ich das heute nur, dass ich das dachte), dass Palitzsch zu dem Motor seines Autos ein ähnlich unglückliches Verhältnis hätte wie zu den Fremdwörtern.
Walser war ein großartiger Gastgeber, der uns zusammen mit seiner Frau Käthe erst mit Kaffee und Kuchen, dann mit schwäbischen Weinen traktierte, ein zufriedener, breit in seinem Zuhause lebender Hausvater. Die familiäre Geborgenheit, ja die häusliche Behäbigkeit waren ihm ebenso auf den Leib geschnitten wie die Auswärts-Spiele, die er bei den Theaterproben, auf der Buchmesse oder bei Lesungen absolvierte, windhundartig mit angespannter Schnelle, ein Jäger auf der Ausschau nach Beute. Hier war er ganz zu Hause. Und wenn er nicht zu Hause war, wirkte er, als wollte er nie zu Hause sein. Ich erzähle das auch, weil ich ihn für eine paradigmatische Figur unserer Generation halte.
Bei Kaffee und Kuchen eröffnete uns Walser, er wolle uns sein neues Stück vorlesen, ob er das dürfe. Es sei ein Einakter, den er gerade geschrieben habe: »Die Zimmerschlacht«.
Walsers Stück (das sein größter Bühnenerfolg werden sollte) handelt von einem Ehepaar, das auf die Hochzeit ihres besten Freundes eingeladen ist und sich dafür gerade fein macht. Ihr Freund heiratet zum zweiten Mal, er hat sich von seiner Frau, mit der das Ehepaar ebenfalls befreundet ist, getrennt, hat sie für eine viel Jüngere eingetauscht. Bei der Vorbereitung auf den Hochzeitsabend redet sich das Freundespaar immer mehr ein, dass sie nicht auf diese Hochzeit gehen werden; sie werden absagen. Vorgeblich aus Rücksicht auf ihre arme verlassene, sitzen gelassene Freundin. In Wahrheit jedoch, so stellt sich heraus, weil der Mann es nicht ertragen kann, dem Freund bei seinem Triumph zuschauen zu müssen. Der hat sich getraut, eine jüngere, blendend schöne Frau zu wählen und dafür seine erste, mit ihm gealterte Frau im Stich zu lassen!
Walser las uns also sein Stück vor. Und sagte zu seiner Frau mit einem halb maliziösen, halb verlegenen Lachen, dass dieses Stück von einem Ehepaar handele. Und es sei völlig klar, dass das mit ihrer eigenen Ehe nicht das Geringste zu tun habe.
Sein Blick wechselte von uns zu seiner Frau und wieder zurück. Blinzelte er uns zu, in männlichem Einverständnis? Lieferte er seiner Frau diese Erklärung als Schutzbehauptung, weil er wusste, dass Autoren da alles ausplappern, wo Kavaliere, laut Redensart, schweigen und genießen? Jedem von uns war klar, dass dies eine Trickserei, eine Ausrede war. Denn Walser, der seine Texte mit der Hand schrieb, mit schöner, schwungvoller Schrift, ließ alle Manuskripte von seiner Frau mit der Schreibmaschine abschreiben. Und aus einem solchen Typoskript las er uns vor und tat so, als würde sie den Text jetzt zum ersten Mal hören und dabei missverstehen können.
Es mag sein, dass Walser uns als erstes öffentliches Auditorium ausprobierte, Palitzsch und mich, um seine Frau auf die späteren Reaktionen eines größeren Publikums schonend vorzubereiten. Es mag aber ebenso gut sein, dass diese Vorlesung vor Vertrauten durchaus zur Inszenierung seiner Ehe gehörte, als Mischung aus Maskierung und Demaskierung.
Mir war sofort klar,
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