Auf der Flucht
nachgestellt, nachgedreht, nachgelebt.
Das Erste, was ich von der Brandstiftung in Frankfurt erfuhr, war, dass Baader und Ensslin vor der Brandstiftung in der Wohnung der Cutterin übernachtet hatten, mit der ich seit 1967 so viele Filme gemeinsam geschnitten hatte. Der HR hat sie damals schnell entlassen.
Auch später, als Ensslin und Baader längst untergetaucht waren, hatte ich mit ihrer Bonnie-und-Clyde-Bahn, mit ihrem »À bout de souffle«-Leben einiges zu tun. Mein Bruder Horst, der als anarchistisch motivierter Schriftsteller in Frankfurt wohnte und Bücher über die Wiedertäufer von Münster, den Bauernkrieg, den Reichstagsbrandstifter van der Lübbe schrieb und, später, ein nüchtern-bewegendes Buch über seine schreckliche Krankheit (er konnte ohne Nieren, nur mit der Dialyse nach einer misslungenen Nierentransplantation überleben, eine Zeit lang, ein paar Jahre) unter dem Titel »Blutwäsche« veröffentlichte, lebte damals mit der Schriftstellerin Helga Nowak zusammen. Die beiden hatten sich mit meinen Geschwistern, der jüngsten Schwester Heidi und dem jüngsten Bruder Peter ein kleines Haus in Grenznähe zwischen Bayern und der DDR gekauft. Begeistert fuhren sie fast jedes Wochenende dorthin, machten es bewohnbar, ja wohnlich, formten aus der Wildnis um das Haus einen Garten. Meine Schwägerin Helga Nowak war mit Gudrun Ensslin befreundet und hat sie wohl auch einmal oder ein paar Mal in Horsts und ihrer Wohnung beherbergt – ihr also Unterschlupf gewährt. Jedenfalls umstellte eines Sonntags in einer spektakulären Aktion die bayerische Grenzpolizei das Anwesen und rückte des Nachts schwer bewaffnet mit Scheinwerfern auf das Haus vor – um ein Terroristennest auszuheben. Es war eine Aktion, die zu nichts führte – außer dass sie bei der Dorfbevölkerung eine Art Lynch-Stimmung gegen meine Geschwister erzeugte, die ihr geliebtes Anwesen aufgeben und verlassen mussten. Zu Recht oder zu Unrecht? Das böse Sprichwort von den Spänen, die fallen, wo gehobelt wird, kommt mir in den Sinn.
Als ich von 1974 an das Kulturressort des »Spiegel« leitete, habe ich Christian Schultz-Gerstein als Redakteur eingestellt, gegen die größten Bedenken der Chefredakteure Erich Böhme und Johannes K. Engel und mit Unterstützung Rudolf Augsteins, der eine Ader für das große, von anarchischem Rebellentum gespeiste Talent von Schultz-Gerstein hatte und der dessen Selbstzerstörungsmechanismen mit einer gewissen fernen Verwandtschaft erspürte. Schultz-Gerstein hatte ein Thema, das für ihn eine große Obsession war. Es war die »Reise«, der Drogentrip in der Autobiographie von Bernward Vesper, des Mannes, den Gudrun Ensslin für Baader verlassen hatte. Schultz-Gerstein entwickelte für das Buch eine ebenso sympathisierend emphatische wie erschrockene Anteilnahme: Und in der Tat, er hat das Buch für mich – wie für die Leser des »Spiegel« – aufgeschlüsselt als die Biographie der 68er, als die deutsche Biographie, gespeist aus Blut-und-Boden-Wahnideen seines übermächtigen Vaters Will, der aus dem Nazi-Expressionismus kommt, dem Kriegserlebnis, und aus dem Aufbegehren gegen den falschen Frieden der fünfziger Jahre und der geheimen Sehnsucht nach Selbstzerstörung in Rausch und Drogen und Revolution. Sie sind alle tot, Gudrun Ensslin und Baader und ihr verlassener Mann, der in der Hamburger Psychiatrie landete. Und Christian Schultz-Gerstein, dessen Vater auch ein Nazi war, dem er, ähnlich wie Vesper, sein Leben wie in einer zynisch-höhnischen Selbstzerstörung opferte.
Ich habe Vespers »Die Reise« 2003 noch einmal gelesen. Aufgrund eines sehr gründlichen Buches von Gerd Koenen, das mir nachträglich umso deutlicher erklärte, warum die Lebensgeschichte von Vesper und Ensslin die spezifisch deutsche Variante des Terrorismus in der Folge der Kulturrevolution von 1968 ist. Provinzielle Enge mischt sich mit deutscher Innerlichkeit. Man schämt sich für Eltern, deren starke Hand man bewundernd erduldet hat. Den Hass, der dabei entstand, richteten die Söhne und Töchter nicht direkt gegen die Väter, sondern noch heftiger gegen die neuen Verhältnisse, gegen den amerikanischen Kapitalismus, stärker als gegen den so genannten »Sozialismus«, dem sie sich heimlich im Innersten verwandt fühlten. Erst als ihre Beziehungen in der sexuellen Revolution, die die Welt damals mit befreiendem Terror schüttelte, scheiterten, schufen die Aufbegehrenden kleine Zellen und Gemeinschaften. Manche von ihnen
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