Auf der Flucht
gemeinsam am nächsten Morgen nach Berlin. Ich kannte ihn und seine Frau Maria von Abenden auf der Buchmesse im Hause Unselds, von Diskus sionsforen und »Gruppe 47«-Tagungen. Mehr aber von den langen Abenden danach. Rudolf Augstein versam melte gerne privat Leute um sich, die er als unterhaltsam empfand, die ihm Spaß bereiteten, mit denen oder über die er Sp ä ße machen konnte. Wie alle Mächtigen hielt er gern Hof und war dabei angenehm, unkompliziert, selber sehr witzig, so dass mancher, der zu seiner Entourage gehörte, ihn für seinen Freund hielt und sich für seinen.
Ich sollte zu seiner engsten Hofhaltung gehören, wir verbrachten sogar gemeinsam Ferien und auch Wochenenden, an denen er für mich, seinen Spaßmacher, den Spaßmacher für meine kleinen Kinder spielte: Er liebte es, vor Kindern mit wildem Übermut zu brillieren. Und kleine Kinder liebten ihn dafür mit krähender Begeisterung. Vielleicht wusste er, dass die ihm zujubelnden Kinder ihm auch einen Platz in den Herzen ihrer Mütter sicherten. Aber das war ein schönes Nebenergebnis, das er eigentlich nicht nötig hatte, denn die Sympathie der Frauen war ihm wegen seiner unkonventionellen Art, seiner leicht derben bis subtil ironischen Scherze, seines sehr sicheren Auftretens, das die eigene Unsicherheit spielend überwand, ohnehin gewiss.
Augstein, so viel steht fest, war ein Kerl, der weit aus dem engen Kragen, den sich die gesellschaftliche Konvention der Bundesrepublik zugelegt hatte, herausragte. Auch intellektuell und, wenn man das Wort politisch versteht, auch moralisch. Korrupt und korrumpierbar war er wohl nie. Dabei war er kein Kerl, eher ein zartes Kerlchen. Und weil er ein Machtmensch wider Willen und bessere Einsicht war, machte ihm Macht so viel Spaß, und er konnte sie so glänzend handhaben.
Als er eines Tages erfuhr, dass ich nach Florenz reisen würde, legte er mir den Besuch des Grabes von Machiavelli in Santa Croce dringlich ans Herz und empfahl mir die Lektüre von »Il principe«, deren »Vollzug« er später abfragend überprüfte. Das war lange bevor ich bei ihm beim »Spiegel« anheuerte. Waren wir Freunde? Wir taten eine lange Zeit wenigstens so als ob. Später höchstens im Sinne von Brechts »Puntila und sein Knecht Matti«. Ich war Lohnabhängiger, wenn ich auch in damals guten Zeiten jederzeit den Arbeitsplatz hätte wechseln können. Etwas, das ich jedoch von der Überzeugung und vom Gefühl her nur schwer hätte tun können.
Doch zurück zu dem ersten Abend in Hamburg. Augstein hatte mir ein Zimmer im Flughafenhotel in Fuhlsbüttel besorgt und mich zu einem merkwürdigen Abend eingeladen. Wir waren zu viert essen, Augstein, seine Frau Maria und Gisela Stelly, für die ich zum Tischherrn auserwählt worden war; wie ich schnell begriff, weil Rudolf Augstein nicht auch noch ihr Tischpartner sein konnte. Das wurde am nächsten Tag, beim gemeinsamen Flug nach Berlin-Tempelhof zur »Soldaten«-Premiere, besonders deutlich, als nämlich Augstein zu Stelly sagte, er habe auch ihr, wie sich und seiner Frau Maria, ein Zimmer im Hotel »Kempinski« besorgt. Sie sagte vorwurfsvoll, wie er sich denn das vorgestellt habe, natürlich wolle und müsse sie in Berlin bei ihren Eltern wohnen. Gut, sagte Augstein, dann nimmt der Karasek das Zimmer! Auf meinen Einwand, ich hätte schon ein Zimmer im »Hotel am Steinplatz« (heute ein Altenwohnheim, während ich immer noch im »Kempi« wohne, wenn ich in Berlin bin), erklärte er kategorisch: »Das bestellen wir ab!« »Wir«, das war sein Sekretariat. Ich hatte natürlich Schwierigkeiten, meiner sparsamen »Stuttgarter Zeitung« klarzumachen, warum ich so teuer abgestiegen war.
Hochhuths »Soldaten« übrigens sollten den »Spiegel« teuer zu stehen kommen. In einem Leserbrief hatte der Autor noch einmal seine (inzwischen durch ein Londoner Urteil verbotene) Behauptung wiederholt, Churchills Regierung habe den polnischen Exilpremier Sikorski durch einen Flugzeugabsturz mit Absicht dem verbündeten Stalin geopfert. Das führte zu einer hohen Geldstrafe in England. Hätte der »Spiegel« sie nicht bezahlt, hätte er auf der Insel nicht mehr vertrieben werden dürfen.
Mein Staunen damals konzentrierte sich, Provinzler, der ich war, auf die äußerlich perfekte lässige Eleganz, mit der Augstein 1967/68 den Übergang von seiner dritten in seine vierte Ehe in gesellschaftlicher Öffentlichkeit und gewissermaßen im Glanz einer Weltpremiere, gleichwohl fast unmerklich, vollzog.
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