Auf der Flucht
Zuhältern und anderen Nachtarbeitern frühstückten. War ich mit dem Drehen fertig, setzte ich mich in den Zug nach Stuttgart und später nach Hamburg.
Ein- oder zweimal blieb ich auch bei der jungen, schönen, dunkelhaarigen Cutterin, mit der ich zusammenarbeitete – auch bei meinem Film über Horkheimer und auch bei dem Film von der bewegten Buchmesse 1967. Statt im Zug oder in der nahe gelegenen Hotelpension oder in den Frühstückslokalen des Rotlichtviertels um den Hauptbahnhof blieb ich in ihrer Wohnung. Sie lebte getrennt oder geschieden von ihrem Mann, der HR-Redakteur war; damals hat man darüber nicht so viel Gewese gemacht, es war die Zeit, in der man dem Slogan »Make love, not war!« zu gehorchen hatte. Diese ebenso schöne wie diszipliniert arbeitende Cutter-Kollegin hatte eine ziemlich chaotische kleine Wohnung, chaotisch wie damals Wohnungen waren. Am Boden ein größeres Matratzenlager, an der Wand Lautsprecher, vor allem ein riesiges Tonbandgerät (meist von Uher). Und durch die Lautsprecher dröhnte die Musik erstmals Stereo. Es war eine junge Welt voller junger Leute, ich, mit meinen dreiunddreißig Jahren und gleichzeitig als Redakteur fest in Brot und Karriere, war so etwas wie ein Fremder in dieser Welt aus Studenten, Assistenten, jungen Angestellten in Verlagen und Rundfunkanstalten. Geduldet, obwohl älter. Ein nützlicher Idiot aus dem Establishment.
Im April 1968 wurden von vier jungen Leuten Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern gelegt. Die deutsche Apo hat damals wohl die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in den Ghettos der amerikanischen Großstädte zu kopieren versucht – in der verzweifelten Absicht, mit Molotow-Cocktails Straßenschlachten mit der Polizei auch in Deutschland zu initiieren, ausgerechnet in Deutschland, wo in der Nacht die Bürgersteige hochgeklappt wurden und zur mittelalterlichen Nachtruhe nur Stadttore und Nachtwächter fehlten – vielleicht mit Ausnahme von Frankfurt. Hier hatte es Straßenschlachten um die Bauspekulanten im Westend gegeben, hatten sich erste antisemitische Ausschreitungen der Linken abgespielt, wie sie Fassbinders Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod« beifällig beschrieb. Ich hatte übrigens kurz zuvor für den Hessischen Rundfunk das erste Fernsehfeature über Fassbinder und seine Münchener Theatergruppe gedreht.
Zum ersten Mal also brannte nach dem Krieg in einer deutschen Großstadt ein Kaufhaus. Getreu dem Slogan »Macht kaputt, was euch kaputt macht«. Dabei war die Tatsache, dass die vier jugendlichen Brandstifter (es sollte sich herausstellen, dass es sich um den »fünfundzwanzig Jahre alten Journalisten Andreas Baader«, seine Freundin, die »achtundzwanzigjährige Germanistikstudentin Gudrun Ensslin«, den »siebenundzwanzigjährigen ehemaligen Kunststudenten Thorwald Proll« sowie den »sechsundzwanzigjährigen Schauspieler Horst Söhnlein« handelte – so im Prozessbericht des »Tagesspiegel« vom November 1968) Brandsätze in zwei Kaufhäusern gelegt hatten, auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen. Die Ghetto-Terroristen in den USA hatten in ihrem Kampf gegen Rassismus und Vietnamkrieg »Burn warehouse, burn!« auf ihre Transparente geschrieben, die Frankfurter Brandstifter hatten »warehouse« (womit Lagerhäuser in den Docks der großen Häfen wie New York gemeint waren) mit »Kaufhaus« übersetzt – ein fataler Irrtum, da bei Kaufhausbränden Menschenleben viel stärker gefährdet sind als bei Lagerhäusern in nachts menschenleeren Hafengegenden.
Der Geist, der sich bei diesem ersten radikalen Schritt in die Kriminalität zeigte, stammte mehr aus der Desperado-Romantik des Kinos als aus der linken Studentenbewegung. Die Gangster-Romantik von Baader und Ensslin (sie eine Ausbrecherin aus dem schwäbischen Pfarrhaus und einer unseligen Ehe mit dem Sohn des Nazi-Schriftstellers Will Vesper) stammte wohl aus dem Film »Bonnie und Clyde«, den Arthur Penn 1967 mit Warren Beatty und Faye Dunnaway drehte, einem Film, in dem das verschlafen spießige Amerika der Depressionsjahre in einer Gewaltorgie endet, in der tödlichen Feuerbahn eines Gangsterpärchens. Vielleicht aber orientierten sich Baader und mit ihm Ensslin auch an Godards grandiosem Erstlingsfilm »Außer Atem« von 1959? Sieht man Bilder von dem Beau und Desperado Baader, der die gutbürgerliche Ensslin in einen Sog von Gewalt und Verderben reißt, dann wirkt das, als hätten die beiden den Godard-Film im richtigen Leben
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