Auf der Flucht
schlidderten in die Kriminalität. Und es wirkte auf andere wie konsequentes Verhalten. Ihr Weg war von den Erfahrungen der Drogen-Revolte begleitet. Ihr erstes politisches Ziel war, nach dem Schah-Besuch, seine aufgeblasene, brutale Regierung, eine Marionettenregierung des US-Geheimdienstes in Persien, ihr nächstes Ziel der Krieg in Vietnam.
Im Herbst 1967 traf sich die »Gruppe 47« für drei Tage in der »Pulvermühle«, einem fränkischen Landgasthof. Ich war damals bereits regelmäßig als Kritiker dabei, inzwi schen ordentlich von Hans Werner Richter eingeladen mit jenen von Hand geschriebenen Ad-hoc-Einladungen. Es war die Tagung, bei der beschlossen wurde, im nächsten Jahr, also 1968, in Prag zu tagen, wo Alexander Dubcek, der Generalsekretär der tschechischen KP, einen »Sozialis mus mit menschlichem Antlitz« einführen wollte – gegen die Sowjetunion und den Warschauer Pakt. Diese Auflö sungserscheinung des Blocksystems im Herzen Europas und vor allem an den Grenzen der beiden deutschen Staaten konnte die Sowjetunion nicht dulden, also marschierte sie entschlossen im Jahr darauf, zusammen mit ihren »Verbündeten«, mit Panzermacht in Prag ein.
Diesen Einmarsch hat auch die »Gruppe 47« nicht überlebt, sie hatte ganz auf Dubceks Reform-Kommunismus gesetzt (die tschechischen Literaten und Literaturtheoretiker um Eduard Goldstücker hatten ihn ja besonders entschieden und voller Begeisterung unterstützt und propagiert – übrigens mit der Entächtung und Entbannung Kafkas), in dem sie Hoffnung für ein friedliches Nebeneinander, auf Koexistenz, auch der zwei deutschen Staaten, geschöpft hatten. Das Ende kam aber nicht nur von außen: Die Niederschlagung des »Prager Frühlings« war vielmehr auch für die »Gruppe« Anlass genug, der drohenden eigenen Agonie zu entkommen.
Schon 1966 in Princeton hatte Peter Handke nur teilgenommen, um der Gruppe spektakulär ihren Totenschein ausstellen zu können. Dann aber, 1967, flammte noch einmal die Lust auf, sich dem bundesrepublikanischen Establishment zu widersetzen, sich mit der Apo und der Studentenbewegung zu »solidarisieren«.
Solidarisierung – das war das Schlagwort der Stunde. Um den Tagungsort (Scheunen um einen Landgasthof) brannten Herbstfeuer. SDS-Studenten hatten sie mit »Bild«-Zeitungen angefacht und in der Mittagspause hörte ich Martin Walser zu Peter Härtling spöttisch sagen: »Jetzt dein Hölderlin-Romanmanuskript drauf«, er zeigte auf die kleinen züngelnden Scheiterhaufen in etwa dreihundert Metern Entfernung, »und es ist, als wäre es nie geschehen!« Da beide und auch die Umstehenden, zu denen auch ich gehörte, sich als »links« empfanden und fühlten, hatten wir nicht das geringste schlechte Gewissen, als sie über diesen Scherz grinsten. Und auch, dass die Studenten Zeitungen verbrannten, verursachte uns keine Kopfschmerzen, nichts kam uns weniger in den Sinn als die Bücherverbrennungen von 1933, wo fanatisierte Studenten besten Gewissens Bücher und Schriften dem Feuer übergeben hatten. Damals wurde laut nachgedacht über »repressive Toleranz«, mit der der Staat oder besser die »Herrschenden« die Meinungsfreiheit unterdrückten, indem sie sie scheinbar ungehemmt zuließen, auch über die »Schere im Kopf«. Dass diese »Schere« mich hinderte, die Verbrennung von Zeitungen und einen Auslieferungsboykott weder laut noch leise auch nur in die Nähe der Bücherverbrennungen und Zerstörung der jüdischen Pressekonzerne 1933 zu rücken, diese Assoziation hätte ich mir selbst empört verbeten.
Ich drehte in der Zeit der Studentenrevolte, als Rektorate besetzt, Vorlesungen gesprengt, Zeitungsauslieferungen behindert wurden, als man sich bereits Straßenschlachten mit der Polizei lieferte – mit Tränengas auf der einen, Molotow-Cocktails auf der anderen Seite –, ein Porträt über einen der Väter der Frankfurter Schule, Max Horkheimer. Der extreme Flügel des SDS war noch nicht in die RAF abgetaucht, die anderen hatten sich noch nicht in den »langen Marsch durch die Institutionen« gerettet.
Der greise Philosoph (er war damals, stelle ich erschrocken beim Schreiben fest, etwa so alt, wie ich es jetzt bin) lebte in dieser Zeit mit seiner Frau im Tessin. Ich erinnere mich an die liebenswürdige Gastfreundschaft des Ehepaares Horkheimer, das, zwischen Büchern, vielen Nippes, schweren Vorhängen, den Leuchtern und großen Vasen, zwischen all dem Silber und Messing und den dicken Tapeten, in einer Welt
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