Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
dafür, dass Uwe Gräfe in das Verbrechen involviert sein musste: Der Wagen seiner Frau war mit einer Wegfahrsperre versehen, deren Code außer einer dritten Person, die frei von jedem Verdacht war, nur noch er kannte.
Meine Bremer Kollegen suchten daraufhin Uwe Gräfe in der Untersuchungshaft für weitere Vernehmungen auf, in der Hoffnung, dass er sich bei einer Konfrontation mit dem Pkw-Fund doch zu einem Geständnis durchringen würde. Uwe Gräfe blieb weiterhin höflich und zuvorkommend und gab sich gesprächsbereit – bestritt aber noch immer, mit dem Tod seiner Ehefrau zu tun zu haben und etwas über das Schicksal seiner Kinder zu wissen.
Daraufhin entschloss sich mein Kollege von der Vermisstenstelle zu einem ungewöhnlichen Schritt: Er arrangierte ein Vier-Augen-Gespräch mit Uwe Gräfe. Was er vorhatte, fiel unter Vernehmungspsychologie. Er wollte versuchen, an dessen Gefühle zu appellieren, denn egal was passiert war, Uwe Gräfe musste seine Kinder doch geliebt haben. Nicht, indem er ihn als Ermittler befragte, sondern als Anwalt der verschwundenen, aller Wahrscheinlichkeit nach toten Kinder. Er wollte ihn fragen, ob er seine Kinder nicht einmal genug lieben würde, um sie in Würde beerdigen zu lassen.
Das Gespräch dauerte nicht lang, und ich kann mir vorstellen, mit welchen Worten und in welchem Ton Uwe Gräfe konfrontiert wurde: leise, einfühlsam und nicht vorwurfsvoll. Wenige Stunden später gab Uwe Gräfe tatsächlich einen Hinweis, wo sich seine Kinder befanden: in einem Fleet außerhalb von Bremen. Wie und wann sie dort hingekommen waren, verriet er nicht, ebenso wenig legte er ein Geständnis ab. Die Ermittler schickten sofort ein Tauchteam dorthin, und noch am selben Tag erfüllten sich unsere schlimmsten Befürchtungen. Die Taucher bargen im Fleet eine Metallkiste mit den beiden Kinderleichen. Beide noch in Schlafanzügen und mit einem Bademantelgürtel beziehungsweise einem Strick erdrosselt – der ihnen jeweils noch um den Hals lag.
Ein fast perfektes Versteck und für Uwe Gräfe naheliegend. Ganz in der Nähe ist er als Kind zur Schule gegangen. Er kennt sich in der Gegend aus. Das bestätigt wieder einmal den fallanalytischen Theorieansatz: Täter agieren an ihnen vertrauten Orten, weil sie sich dadurch sicher fühlen.
Durch Uwe Gräfes Hinweis und den anschließenden Fund stand auch ohne Geständnis hinreichend fest, dass der angeblich besorgte Familienvater seine Frau und seine zwei Kinder getötet hatte. Doch was das Motiv betraf, standen wir von der Sonderkommission noch immer vor einem Rätsel. Warum hatte Uwe Gräfe seine Familie ausgelöscht? Das Verbrechen ließ sich mit dem uns bekannten Bild von Uwe Gräfes Persönlichkeit nicht vereinbaren: liebevoller Ehemann und glücklicher Vater, erfolgreicher und hart arbeitender Geschäftsmann, Kumpel seiner Angestellten – von allen anerkannt und respektiert. Ein Arbeitskollege erinnerte sich in der Vernehmung: »Als seine Tochter geboren wurde, hat er jedem davon erzählt. So glücklich war er.« Und wie passte zum Geschehenen die Aussage des Gemeindepastors, der am Vorabend vor dem Verschwinden der drei Opfer noch mit den Eltern über die bevorstehende Taufe von Lisa gesprochen hatte?
Dann kam es zu einer weiteren Wende in dem Fall. Sie ließ alles, was wir bisher über Uwe Gräfes Persönlichkeit wussten, in einem vollkommen anderen Licht erscheinen: Eine Prostituierte meldete sich bei uns. Sie hatte auf einem Foto in der Zeitung Uwe Gräfe als ihren Freier wiedererkannt. »Er ist ein ungewöhnlicher Gast gewesen: gepflegt, gebildet und großzügig. Stets elegant mit schwarzem Anzug, schwarzen Edelschuhen, hellem Hemd bekleidet.« Als wir noch eine zweite Prostituierte ermitteln konnten, die mit Uwe Gräfe die gleichen positiven Erfahrungen gemacht hatte, wurde deutlich: Der scheinbar biedere Familienmensch hatte ein nahezu perfektes Doppelleben geführt:
In Erzählungen aus seinem »zweiten Leben« beeindruckt er die beiden Frauen, die nichts voneinander wissen, mit Berichten über sein exklusives und aufregendes Leben – japanische Großeltern, Adoptiveltern, verwitwet, Samurai, kampferprobter Rambo, Fallschirmspringer und Lebensretter in Bosnien, Security-Beauftragter im Disneyland und wohnhaft in Paris.
Uwe Gräfe besucht die Frauen mehrere Male in ihren Apartments, bleibt dort mehrere Stunden und bezahlt sie – Geld scheint für ihn keine Rolle zu spielen – großzügig für ihre Dienste. Einmal gibt er sogar 1800
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